Digitale Debatten

Der französische Präsidentschaftswahlkampf 2007 hat den Kampagnenbüros schweres Kopfzerbrechen bereitet. Nicht nur der im Wechselspiel mit den Massenmedien regelrecht hoch gezüchtete Schlagabtausch zwischen dem Rechtspopulisten Nicolas Sarkozy und der sozialistischen Gegenkandidatin Ségolène Royal stellte die PR-Teams vor große Herausforderungen.

Zensur unterlaufen

Auch eine bislang nicht da gewesene Flut von individuellen Veröffentlichungen, Blogeinträgen und Multimedia-Interventionen im Internet hat den mit millionenschweren Finanzmitteln ausgestatteten Kommunikationsprofis Grenzen aufgezeigt. Unkontrolliert und – das ist von entscheidender Bedeutung – weitgehend unkontrollierbar haben satirische Kurzvideos, eigenmächtig gestrickte Psychogramme sowie emotional aufgeladene Statements ihren Weg an die Öffentlichkeit gefunden und geradezu lawinenartig immer größere Neugierde hervorgerufen.

Einige der Beiträge waren zuvor in den konventionellen Kanälen der Meinungsbildung entweder einer von den Parteizentralen juristisch durchgesetzten Zensur zum Opfer gefallen oder blieben aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit journalistischen Grundprinzipien ausgeschlossen. Das hat die Beliebtheit zusätzlich erhöht und die Frequenz des Herumreichens noch weiter angekurbelt.

Ethische Fragen

Das Duell ist vorüber, damit haben sich die Erregungsstürme in den digitalen Netzen merklich gelegt. Mit dem Triumph der Neokonservativen hält nun aber auch außerhalb der Grenzen Frankreichs das große Rätseln in die Debatten Einzug, welche Schlüsse nun aus diesen neuerlichen Eruptionserscheinungen in der politischen Kommunikation zu ziehen sind. Ist es zu begrüßen, dass immer mehr Menschen unter Zuhilfenahme der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ihre Meinung kundtun? Erinnert diese Entwicklung gar an die frühen Hoffnungen, dass mit der gesellschaftlichen Verbreitung des Internets eine neue Ära demokratischer Beteiligungskultur anbricht? Oder droht mit der medialen Aufrüstung einer unüberschaubaren Menge großes Übel, das zu einer Verrohung der politischen Arenen führt? Was bleibt übrig von der ohnehin stark ausgedünnten Ethik des Journalismus, wenn die Medienlandschaft durch millionenfache Selbstermächtigung nicht mehr eindämmbare Blüten treibt?

Ungeachtet der Einsicht, dass auf derlei Fragen keine mono-linearen Antworten zu finden sind, ist die Diskussion selbst gar nicht so neu. Seit Ende der 1990er Jahre ist bekannt, dass Weblogs ein einfach zu handhabendes Werkzeug bilden, um Informationen weltweit zu verbreiten. Durch die rege Nutzung wurde eine stetig anwachsende Blog-Sphäre geschaffen, der sehr schnell auch Sorgenfalten folgten.

Ein anschauliches Beispiel dafür bot der Jahresbeginn 2005, als im World Wide Web nicht nur zu Spenden für die Opfer des Tsunami aufgerufen wurde, sondern auch an sich wenig beachtete ultra-konservative US-Kirchen plötzlich große Aufmerksamkeit fanden, indem sie sich vor großem Publikum bei Gott für die Flutkatastrophe bedankten, die – so ihre Überzeugung – ebenso als Strafe für eine vermeintlich moralisch verwerfliche Gesellschaft zu werten sei wie der Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 in New York. Die zahlreichen und zumeist anonymen Nachahmungsversuche zogen sehr schnell Überlegungen nach sich, diesem Treiben im Internet auf juristischem Wege einen Riegel vorzuschieben. Impressumspflicht sowie strikte Haftungs- und Auskunftsregelungen für Inter-Service-Provider finden sich seither auch in Österreich in den Telekommunikations- und Medienrechtsnovellen wieder.

Neue Teilnahme

Erste Analysen der französischen Wahlen führen das Ansteigen der hohen Wahlbeteiligung von 85% nicht zuletzt auf die explosionsartige Entwicklung der Online-Sphäre als Raum der politischen Auseinandersetzungen zurück. Damit ist auch der eindrucksvolle Nachweis erbracht, dass das Medium Internet längst zu einem bedeutsamen Instrument der Artikulation und Verbreitung von politischen Meinungen und audiovisuellen Inhalten geworden ist, die keineswegs mehr den Eliten der Kommunikationsagenturen vorbehalten bleiben, sondern zunehmend von den Wählerinnen und Wählern selbst geschaffen werden. Sie sind nicht mehr weg zu denken und haben auch die Wechselbeziehung von alten und neuen Medien grundlegend verändert, wie dem ungebrochenen Trend am Zeitungsmarkt zu entnehmen ist, mit aufwändigen Blogs in Online-Welten vorzudringen.

Für die politische Kommunikation ist das nicht von Nachteil, zeugt es doch von Interesse an Teilnahme an Politik-Prozessen. Verbote und gesetzliche Restriktionen sind hier jedenfalls völlig fehl am Platz. Nicht die Beseitigung der Anonymität, eines der wesentlichsten Kennzeichen einer freien, kritischen und unabhängigen Publizistik im Internet, schafft die Voraussetzung einer journalistischen und partizipativen Qualitätssteigerung, sondern eine breite Debatte über demokratische Rahmenbedingungen einer freien Meinungsäußerung sowie über Beteiligungsformen, die insbesondere in Österreich den dafür erforderlichen öffentlichen Raum einnehmen muss. Um genau den ist es aber hierzulande, wie auch in vielen anderen europäischen Staaten, zunehmend schlecht bestellt. Umso besser also, wenn eine rasant anwachsende Zahl von Aneignungsformen im Internet sich mit dem Status quo nicht zufrieden gibt.