Österreich, schau auf deinen Schilling und behüte den lieben Gott!

Kulturpolitische Rückschau auf ein Erfolgsrezept der ÖVP

Wohin es den lieben Gott in den Jahren des Nationalsozialismus verschlagen hatte, in der Zeit von Vernichtung, Krieg und Tod, darüber lässt sich nichts in Erfahrung bringen. Gewiss ist jedoch: Als der Schrecken der Terrorherrschaft zu Ende war, ist der liebe Gott jedenfalls – im Gegensatz zu vielen anderen Vertriebenen und Opfern des mörderischen NS-Regimes – unter Willkommensrufen nach Österreich zurückgekehrt.

Das Österreich nach 1945 war in der Tat wie vom lieben Gott gewollt – dies alleine schon deshalb, weil es die ÖVP so halten wollte. Ungeachtet aller gesellschaftlichen und politischen Differenzen, die eine interne Konstellation aus Großunternehmern, Kleingewerblern, Arbeitern, Bauern und Angestellten zwangsläufig nach sich ziehen muss, sollte demnach auch die neue Umklammerung der Christlich-Sozialen ganz nach dem Geschmack des lieben Gottes beschaffen sein: Bündisch, demütig und fromm, strebsam und entschlossen, gegen den Sozialismus, auf alle Fälle aber heimattreu.

Wie die Republik selbst war die ÖVP aus dem Elend eines Trümmerhaufens hervorgegangen. Nun strebte auch sie nach Aussöhnung, Eintracht und größtmöglicher Allgemeinverbindlichkeit. Es war die Zeit des Schulterklopfens, der Kumpanei, des Vergessens und Verdrängens. Das kleine Österreich bot den Anblick eines weinseligen Museums. Beschwingte Walzerklänge, Alpenromantik, Kaisersemmeln und – nicht zu vergessen – der Herrgottswinkel prägten das melancholische Interieur einer altösterreichischen Epigonenherrlichkeit und damit die Sehnsucht nach Wiedergewinnung kultureller Größe.

Zu den eindrucksvollsten Exponaten der Sammlung Österreichs zählte immer schon die Volkspartei. Wer die ÖVP von heute verstehen möchte, ist gut beraten, sich neugierig in ihren Anfängen umzusehen. Wer die konservative Kulturpolitik der Gegenwart zu ergründen sucht, kommt um die Rückschau gar nicht erst herum. Gerade im ersten Nachkriegsjahrzehnt ist anhand von Kunst und Kultur sehr deutlich nachzuweisen, wie offen die Kontinuität einer restaurativen Grundhaltung in der Politik der Volkspartei zutage trat.

“Für so an’ alten Faschisten, wie Du einer bist, ist der Arbeiter- und Angestelltenbund g’rad recht.” Als überaus väterlich wird die Geste für die Nachwelt dokumentiert, mit der Bundeskanzler Julius Raab den emporstrebenden Neo-Politiker an sich zog. Man schrieb das Jahr 1954, der junge Heinrich Drimmel war soeben als Unterrichtsminister und damit als oberster Kulturpolitiker ins Kabinett der späteren Staatsvertragsregierung berufen worden. Noch enthielt sich die Nachwuchshoffnung der formalen Mitgliedschaft in einer der Bünde der ÖVP. Das Vertrauen der Partei, der er fortan seine Dienste zur Verfügung stellte, genoss er dennoch in vollen Zügen. Heinrich Drimmel verkörperte deren Programmatik alleine schon mit seinem persönlichen biographischen Verlauf. 1936 in den Staatsdienst eingetreten, galt er als glühender Verfechter der klerikofaschistischen Idee. Seine Karriere stand geradezu paradigmatisch für das nahtlose Wiederanknüpfen an die Muster und kulturellen Leitbilder einer anti-modernen und gegenaufklärerischen Periode, die nach 1945 viele für beendet glaubten. Vergebens, wie sich letztlich zeigen sollte.

Der Schilling und der liebe Gott zählten zu den ersten Leitmotiven, die dem Österreich der fünfziger Jahre als große Heilsbringer versprochen waren. Der wirtschaftliche Aufschwung sollte nicht ohne geistig-moralische Weihen über die Bühne gehen. Entsprechend reichte Heinrich Drimmel der neuen Figur des immer heiteren Sparefroh die Hand: “Wer es mit dem konservativen Prinzip ernst nimmt”, so der Kulturpolitiker später in seiner Autobiographie, “muß es an die Autorität Gottes anhängen, sonst wird alles, was sich im Politischen ‘konservativ’ nennt, Gelegenheitsgesinnung, verhökert aus einem Bauchladen der Prinzipien: vorne Christentum, in den hinteren Fächern Toleranz für Abtreibung, vorne Soziale Marktwirtschaft, hinten marxistisch inspirierte Kommandowirtschaft.”

Bundeskanzler Raab scherte sich reichlich wenig um Kultur. Ihn bekümmerte schon eher die Position seines Landes in den Kulturkämpfen des Kalten Krieges. Der Wiederaufbau Österreichs war für ihn in erster Linie eine wirtschaftspolitische Herausforderung. Da verließ er sich auf Reinhard Kamitz, seinen parteilosen Finanzminister, der nicht zuletzt aufgrund seiner eleganten Erscheinung in der Bevölkerung großes Ansehen genoss. Dem “Raab-Kamitz-Kurs” wird bis heute das so genannte “österreichische Wirtschaftswunder” gut geschrieben, das schon damals mit Neoliberalismus und Hartwährungspolitik einen Abbau sozialer und solidarischer Grundsätze verwirklichte. Für die ÖVP wurde der Schilling dennoch das, was er zu dieser Zeit im Sinne seiner Ideologen werden sollte: Ein guter Österreicher.

Doch das alleine genügte nicht. “Es ist notwendig, dem wirtschaftlichen Kamitz-Plan ein aktivistisches Programm zur Lösung der kulturellen Zeitfragen zur Seite zu stellen”, rief VP-Generalsekretär Alfred Maleta seiner Mannschaft im Juni 1953 zu. Kaum einer hatte eine so klare Vorstellung davon, was zu dieser Zeit unter kulturellen Zeitfragen zu verstehen war, wie Heinrich Drimmel, der sich bereits ein Jahr später an einflussreicher Stelle an die Arbeit machen durfte. Er wurde im Grunde mit der Aufgabe betraut, als Unterrichtsminister gegen die rebellische Import-Figur des Bazooka Joe und die sowjetische Satellitenherrschaft in den Köpfen der Menschen anzutreten. Der Kommunismus und die “unmoralische” Warenwelt Amerikas sollten den ehemals fanatischen Heimwehr-Kämpfer noch einmal für Gott und Vaterland streiten lassen.

“Als Kulturpolitiker halte ich mehr von den Bemühungen zur Fortführung und Erneuerung der europäischen Kultur, als von einer Rezeption des vagen Begriffs einer proletarischen Kultur, mag er noch so geschönt sein mit modernen Floskeln eines Amerikanismus von heute.” Heinrich Drimmel machte kein Hehl daraus, dass seine Kulturpolitik niemals darauf angelegt gewesen war, sich auf eine periphere Rolle in der politischen Gestaltung von Staat und Gesellschaft zu beschränken. “Das materielle Leben des Staates verlangt den repräsentativen Kulturalismus. Das Gepräge der Festwochen, die Marmorfassade der Kulturpaläste wirken in der Willensbildung der Massendemokratie überzeugender als das drängende Verlangen nach Beseitigung des Notstandes der wissenschaftlichen Forschung und der künstlerischen Betätigung.”

Spätestens als der Unterrichtsminister verlautbaren ließ, dass die “österreichische Bevölkerung ein sehr natürliches und richtiges Empfinden dafür” habe, “was ordentlich und was sauber ist”, brachen für das kritische Denken in Österreich schwere Zeiten an. Alleine der Ruf nach radikaler Erneuerung in Gesellschaft, Kultur und Politik, nach einem “Nachholen des Versäumten” und der Überwindung von Faschismus und Diktatur, wurde fortan im Nachkriegsösterreich bereits im Aufkeimen erstickt. Der Kampf gegen “Schmutz und Schund” im Alltag, gegen das “Unösterreichische” im Kunst- und Geistesleben, wurde zur nationalen Kraftanstrengung, an deren Ende sich nonkonforme Komponisten, Maler und Literaten in der Isolation wiederfanden. Für Heinrich Drimmel ein gerechter Lohn, denn für ihn und seine ÖVP stand immerhin die “Verteidigung des Abendlandes” auf dem Spiel. Dass das Ziel auf breiter Basis erreicht werden konnte, verdankte er damals schon den Medien.

“Konservative Politik an die Autorität Gottes anzuhängen”, war ein Grundprinzip der ÖVP, das in den fünfziger und sechziger Jahren nicht nur in der Person des Heinrich Drimmel zum Tragen kam. Salzburgs Landeshauptmann Josef Klaus rief bereits 1951 die Öffentlichkeit ganz ungeniert dazu auf, von der Aufführung des Wozzeck bei den Salzburger Festspielen fernzubleiben. Auch der Brecht-Skandal, die damit verbundene Hetze und Diffamierung sowie der Rausschmiss des Komponisten Gottfried Einem aus der Festspielstadt waren Beispiele unter vielen, denen unter dem Hinweis “zu wenig begnadet für das Schöne” im Kulturkampf gegen die Moderne ähnliche Schicksale widerfuhren. 1964 wurde Josef Klaus Bundeskanzler, zwei Jahre später saß er der ersten ÖVP-Alleinregierung vor. Konservatismus, Restauration und Wirtschaftsmacht hatten kulturelle Hegemonie erlangt, der liebe Gott konnte sich geborgen fühlen.

Die Kulturpolitik liegt heute, knapp fünfzig Jahre nach dem Regierungsantritt Heinrich Drimmels, mehr denn je in der Hand der ÖVP. Sie steht unverändert in der Umklammerung einer die Zeitläufte überdauernden Zweifaltigkeit von neoliberaler Frömmelei und gottesfürchtigem Autoritarismus. Auch die sozialdemokratische Ära konnte dieses Faktum nicht nachhaltig durchbrechen. So ist es wenig verwunderlich, dass eine Delegation der Kulturplattform Oberösterreich noch im Frühjahr 1998 bei Landeshauptmann Pühringer mit der Forderung nach der längst überfälligen Aufhebung des Veranstaltungsverbots am Karfreitag eine brüske Abfuhr einzustecken hatte. “Von mir als ehemaligem Religionslehrer”, tobte Oberösterreichs mächtigster Kulturpolitiker und seit dem Februar 2000 zentrales Mitglied im Koalitionsauschuss der Bundesregierung mit der FPÖ, “könnt’ Ihr das nicht verlangen. Und schon gar nicht angesichts einer katholischen Mehrheit von achtzig Prozent in meinem Lande.” Daran hat sich zur Stunde nichts geändert. Jedes Zuwiderhandeln wird am Karfreitag als Gesetzesverstoß bestraft.

“Als Kulturpolitiker interessieren mich in erster Linie die Bestrebungen zur Bestimmung der geistigen Standorte der Partei”. Heinrich Drimmel hätte mit der ÖVP der Gegenwart unbestritten große Freude. Sein unverrückbarer Glaube war immer auch stark an das politische Sendungsbewusstsein gegenüber den Nachgeborenen angelehnt. “Für einen Kulturpolitiker, der ich wurde, stellt die Familie den ersten und durch nichts zu ersetzenden Kulturvermittler der Menschheit dar.” 2003 ist die Familie Österreich geradezu intakt, dem lieben Gott sei Dank.

Für einen Bundeskanzler Schüssel, der – wie einst Julius Raab mit der Entfesselung seines Volkes – aus dem stillen Dienst an der Heimat soviel Kraft beziehen darf.

Für den nulldefizitären Finanzminister Grasser, der – wie einst der fesche Reinhard Kamitz – den ökonomischen Geist und das kulturelle Andenken an den Schilling der fünfziger Jahre auch weit in die Zeit seines Ablebens zu übertragen weiß.

Vor allem aber für Andreas Khol, der jetzt als erster Repräsentant des Parlamentarismus ganz unbescholten davon schwärmt, der Zentrumsfigur seines Glaubens in der Verfassung das dauerhafte Bleiberecht einzuräumen. So hat wenigstens der liebe Gott in Österreich eine Zukunft, da er weiterhin sehr gut behütet bleibt.

Kulturrisse