Vorweg ein paar kurze Gedanken zur Demokratie: Man unterscheidet gemeinhin zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft. In einer Gemeinschaft bin ich Teil. In der Gesellschaft ist hingegen für mich vorgesehen, dass ich daran teilhabe. Wesentlich ist dabei, dass die Gemeinschaft (Teil-Sein) vom Prinzip der Eintracht getragen ist. Die Gesellschaft (Teil-Habe) wiederum unterscheidet sich davon. Sie braucht die Gegensätze und den Konflikt. Deshalb ist Demokratie weniger mit Gemeinschaft als viel mehr mit Gesellschaft in Verbindung zu bringen. In diesem Zusammenhang lässt sich auch ein Demokratiemodell heranziehen, das Chantal Mouffe sehr stark geprägt hat und von ihr als „agonistisches Demokratiemodell“ beschrieben wird. Sie postuliert Demokratie als einen Austragungsort gesellschaftlicher Konflikte, auf dem unterschiedliche gegensätzliche Gruppen versuchen, politische Hegemonie zu erzielen.
Bei der Demokratie geht es also um Gesellschaft – und um die Vergesellschaftung des Individuums. Das historisch bedeutsamste Projekt der Vergesellschaftung ist die Nation. Sie zielte in der Moderne darauf ab, sehr gegensätzliche Interessen und Gruppierungen unter ein gemeinsames Dach zu bringen, sie in einen Rahmen zu setzen. Vor diesem Hintergrund findet die Metapher der „nackten Demokratie“ Beachtung, wie sie von Isolde Charim verwendet wird. Die Philosophin und Publizistin sieht die Nation in einer Situation des Entschalens, wodurch sie zusehends an Stellenwert einbüßt – vor allem im Hinblick auf ihre Funktion der Vergesellschaftung.
Das geht durchaus auch mit der Erinnerung an Margaret Thatcher in den 1980er Jahren einher. Die britische Premierministerin war, ideologisch eng verbunden mit US-Präsident Ronald Reagan, eine rücksichtslose Antreiberin des neoliberalen Sozial- und Demokratieabbaus. Noch heute klingt einer ihrer zentralen Kampfrufe nach: “There is no Society!” Thatcher versuchte also nicht nur zu überzeugen, dass es zu ihrem sozio-ökonomischen Programm keine Alternative gäbe („There is no Alternative!”). Nein, sie stellte auch die Gesellschaft an sich radikal in Frage. “There is no Society!” Dabei zeigen sich die Verwerfungen bis in die Gegenwart in einer weitreichenden Dramatik.
Demokratie als Elitenprojekt
Der Gegensatz von Arm und Reich hat seit jeher den Weltenlauf bestimmt, ebenso wissen wir schon sehr lange vom Gegensatz zwischen Oben und Unten. Was neu hinzukommt, ist ein Gegensatz zwischen Innen und Außen. Immer mehr Menschen fühlen sich abgehängt und nehmen die Demokratie als ein Elitenprojekt wahr. Die Mächtigen, so heißt es oft, könnten es sich richten, während das Wohlbefinden und die Bedürfnisse des Individuums mittlerweile keinerlei Geltung mehr fänden. So stellt sich das neue Innen und Außen dar – mit zunehmend dichotomer Intensität.
Dass Demokratie als ein Elitenprojekt wahrgenommen wird, war vor allem bei den sogenannten Corona-Protesten zu sehen. Die Pandemie, die alle ganz plötzlich in einen Ausnahmezustand versetzte, hat den Regierenden trotz Unkenntnis der Sachverhalte schwierige Lösungen abverlangt. Zahlreiche Menschen fühlten sich dadurch so stark ihrer Grundrechte beraubt, dass sie die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Ausbreitung wie einen Gewaltakt wahrgenommen haben, so als hätte man sie von Innen in ein Außen verstoßen.
Medienaneignung und Beteiligung
Was aber sind nun die Schlussfolgerungen für die Medienaneignung? Dazu ist vorerst festzuhalten: Menschen glauben an die Demokratie, weil sie an ihre Versprechungen glauben wollen! Das erste Versprechen der Demokratie ist die politische Gleichheit. Alle sind gleich, das ist ein unumstößlicher Rechtsanspruch, der in einer Demokratie als allgemein verbindlich erachtet wird. Das zweite Versprechen der Demokratie bezieht sich auf die gesellschaftliche Teilhabe. Der demokratische Zusammenhalt gelingt vor allem unter der Voraussetzung, dass Menschen das verbriefte Recht erhalten, sich zu beteiligen, mitzugestalten und mitzubestimmen.
Das sind auch die Anknüpfungspunkte der zwei B in der Medienpartizipation: Sie stehen für Bedeutung und Behauptung. Bedeutung meint, Geltung und Gewicht zu haben. Sich zu behaupten hingegen, einer Sache gewachsen zu sein und sich durchzusetzen. Die zwei B können als Parameter dafür herangezogen werden, was unter Medienaneignung bzw. unter Medienarbeit verstanden werden sollte. Die zwei B, also Bedeutung und Behauptung, sind messbar. Sie sind einerseits zu messen an den Rahmenbedingungen. Dazu zählen globale Ungleichheiten, aktuell insbesondere Migration und Flucht, die Klimakrise und immer öfter auch Krieg und Zerstörung. Soziale Verwerfungen haben ihre Ursachen, wie bereits erwähnt, in einer wachsenden Armut und der damit verbundenen Exklusion – eine enorme Gefahr für die Demokratie.
Bedeutung und Behauptung sind verschränkt. Sie sind messbar und müssen auch an der eigenen Selbstverortung gemessen werden. Und zwar im Sinne dessen, welchen Ort die Medienarbeit einnehmen will – und in welcher Gestalt. Wie sieht das Design aus, das gleichzeitig auch als Mitteilung an die Öffentlichkeit zu verstehen ist? An diesem Punkt kommt eine gewisse Medienkulturgeschichte zum Tragen, weil auch der nichtkommerzielle Rundfunk mit der Netzkulturentwicklung einer digitalen Demokratiebewegung vielfach eng verbunden ist.
Bildsprachen und Narrative
Eine wichtige Rolle spielt zudem die Pluralität audiovisueller Informationen, die Vielfalt der Bildsprachen – denn Demokratie muss sich in pluralen Ästhetiken ebenso beweisen. Das ist insofern von Bedeutung, als die Darstellung selbst auch Botschaften vermittelt. Im Zusammenhang mit der EU-Wahl am 9. Juni 2024 hat sich einmal mehr die Frage nach dem Narrativ gestellt, das uns die Europäische Union näher bringen soll. Warum ist sie für uns überhaupt interessant und wünschenswert? Eines der großen Probleme der EU in den vergangenen Jahren war es, keine Narrative gefunden zu haben. Eine gemeinsame und verbindliche Erzählung, warum es als sinnvoll anzusehen ist, der Europäischen Union anzugehören. Die Medienaneignung in einer zivilgesellschaftlichen Form hat die wirkmächtige Möglichkeit, aktiv in die Produktion von Narrativen einzusteigen – in Verbindung mit Meinungsbildung und Diskurs.
Wer über die Demokratie der Zukunft oder die Zukunft der Demokratie nachdenkt, kommt nicht umhin, ein Schlaglicht auf die redaktionelle Gesellschaft zu werfen, die schon in den vergangenen Jahren insbesondere von Bernhard Pörksen sehr konkret auf den Punkt gebracht wurde. Der deutsche Medienwissenschaftler geht von der Annahme aus, dass wir aufgrund von multiplen Informationseinflüssen und einer bislang nicht gekannten digitalen Beschleunigung mit geradezu „aufschäumenden Aufmerksamkeits-Exzessen“ konfrontiert sind. Alle stehen permanent unter Strom, ein aufgeregtes Dasein in einem ständigen „Hyper, Hyper“, das immer mehr Probleme mit sich bringt.
Vor diesem Hintergrund plädiert Pörksen dafür, den aktuellen Entwicklungen mit neuem Selbstbewusstsein zu begegnen. Namhafte Zeitungen beklagen seit Jahren, nicht mehr die alleinige Torwächterfunktion in den Informationswelten einzunehmen. Die Digitalisierung eröffnet viele andere ernstzunehmende Möglichkeiten, sich zu artikulieren und am öffentlichen Geschehen zu beteiligen. Das bringt auch eine Vielzahl von Chancen im Hinblick auf die Notwendigkeit mit sich, die Diskurskulturen von Grund auf neu zu demokratisieren. Dieser sehr konkreten Utopie zufolge ließen sich zugleich neue Normen und Prinzipien eines öffentlichen Sprechens ableiten, die sich nicht zuletzt die zivilgesellschaftliche Medienaneignung als Maximen zu eigen machen sollte.
Wiedervergesellschaftung
Die Zusammenhänge von Medien, Demokratie und Partizipation sowie Gemeinschaft und Gesellschaft verdienen abschließend allemal kritische Aufmerksamkeit. Die zwei B in der Medienpartizipation, Bedeutung und Behauptung, schaffen dringend erforderliche Perspektiven auf eine Wiedervergesellschaftung. Die Gemeinschaft erlebt dieser Tage eine beunruhigende Hochkonjunktur. Da genügt der Blick nach Deutschland, wo höchst gewaltbereite Traktoren-Demonstrationen auf bedrohliche Weise zu erkennen geben, was mit gemeinschaftlichen Zuspitzungen auf eine Demokratie zukommen kann.
Mit den Community-TV-Stationen und Freien Radios sowie durch die breite Einbeziehung vieler Menschen trägt der nichtkommerzielle Rundfunk wesentlich zur Wiederherstellung von Gesellschaft bei. Die Demokratie gewinnt dadurch einen wichtigen Ort politischer und gesellschaftlicher Aushandlungen, der zugleich Hoffnung gibt, dass sie mit ihren Versprechungen das so wichtige Vertrauen zurückgewinnen kann. Partizipative Medienaneignung wird die Demokratie nicht als Heilsbringerin für alle Ewigkeiten retten. Das macht auch keinen Sinn, denn Demokratie ist jeden Tag aufs Neue zu argumentieren und zu erkämpfen. Der gesamte Sektor des nichtkommerziellen Rundfunks kann allerdings die Versprechen der Demokratie ein Stück weit einlösen – vor allem im Hinblick auf politische Gleichheit und eine gerechte Teilhabe an unserer Welt.
Dieser Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Vortrags im Rahmen der Tagung Medien.Partizipation.Demokratie am Freitag, 15. März 2024, im Linzer Wissensturm.
Land der Freien Medien – Edition 2024
Quellenangaben
Charim, Isolde (2019). Die nackte Demokratie, in: DEMOKRATIE! Zumutung oder Zukunft. Tagungsband zum Symposion Dürnstein 2019, Hamburg.
Pörksen, Bernhard (2023). Die redaktionelle Gesellschaft. Eine konkrete Utopie für die digitale Diskurskultur, in: Bundeszentrale für Politische Bildung (Hrsg.). Aus Politik und Zeitgeschichte, 73. Jahrgang, 43 – 45/2023, Bonn.