Postkoloniale Aushandlung und Verschiebungen

Mit WANDALA macht im Herbst 2025 die afrikanische Diaspora der Bilder Station in Linz

Kunst aus Afrika: Über tiefgreifende Transformationsprozesse, neue postkoloniale Aushandlungen und eine Diaspora der Bilder schreibt Martin Wassermair. Er führt exemplarisch Hintergründe der Ausstellung WANDALA an, die er derzeit vorbereitet – und stellt in diesem Zusammenhang zwei Künstler:innen aus Namibia und dem Senegal vor, Namafu Amutse und Mbaye Diop.

Als „Hütte ohne Schlüssel“ beschreibt Achille Mbembe das Afrika der Gegenwart. Der renommierte kamerunische Politikwissenschaftler und Historiker lenkt damit die Aufmerksamkeit auf tiefgreifende Transformationsprozesse, die auch eine Neuorganisation der Räume, Gesellschaften und Kulturen mit sich bringen. Mbembe ist davon überzeugt, dass angesichts der aktuellen Entwicklungen die Kolonialzeit „mit dem entsprechenden historischen Abstand wie ein Intermezzo wirken wird“. Ein Gedanke, der nicht einfach zu erschließen ist und vielleicht doch nach einem Schlüssel verlangt. Er könnte jene Images freilegen, die wie unverbrüchliche Projektionen an Afrika haften, Stereotype, die jahrhundertelang den Blick auf den Kontinent und seine Menschen verunstalten, um sie zu berauben, zu versklaven und schließlich auch noch zu entorten. Darstellungen von Afrika mussten sich schon immer der Ordonnanz einer rassistischen Überlegenheit fügen und nähren bis heute eine kaum zu befriedigende Gier. Sie erzählen eine lange Geschichte der Unterdrückung, dienen einem götzenhaften Exotismus und schreiben die von Schmerzen und Leid getragenen Erzählungen immer weiter fort.

Diaspora der Bilder

Vor diesem Hintergrund stellt sich die drängende Frage, wie sich künstlerische Perspektiven zu den überlieferten Bildgewalten verhalten. Dabei fällt zunächst auf, dass die westliche Rezeption lange Zeit entlang der Realitäten der Sklaverei erfolgte. „Der Prozess“, hält der Anthropologe Wyatt MacGaffey in einer seiner zahlreichen Studien fest, „durch den ein afrikanisches Objekt zu Kunst wird, beinhaltet seine Entfernung aus dem ursprünglichen Kontext und seine Unterwerfung unter verschiedene Arten von Gewalt. Neben der Gewalt, die durch Diebstahl, Beschlagnahme und dergleichen ausgeübt wird, müssen wir auch die Gewalt gegen das Objekt selbst einbeziehen, das häufig von seinen Accessoires befreit, gereinigt und sogar umgestaltet wird.“ In der Historiographie der globalen Kunst haben vielerlei Gewaltakte ihren festen Platz, sei es infolge der blutigen Exzesse gegen die indigenen Völker Lateinamerikas oder auch der nationalsozialistischen Raubzüge im Zuge der Vernichtung des europäischen Judentums. Die Forschung hat sich des Zivilisationsbruches mittlerweile angenommen und das Augenmerk auch auf afrikanische Kontexte gelegt. Mitunter noch erhellender als wissenschaftliche Erkenntnisse sind allemal Narrative, die mit Wahrnehmungsgewohnheiten brechen, das Visuelle in einen vielleicht auch verstörenden Rahmen setzen und sogar Räume auftun, die schließlich als Diaspora der Bilder Bedeutung finden sollten.

Im allgemeinen Verständnis umreißt die afrikanische Diaspora die dramatische Geschichte der Verschleppung, Zerstreuung und späteren Absorption in der atlantischen Welt. Postkoloniale Ansätze, die das historische Muster weiterzudenken versuchen, verorten afrikanische Kunst in ihrer Vielfalt, wie es John Peffer formuliert, als „einen Raum zwischen Performance und Erinnerung“. Der ehemalige Präsident des US-amerikanischen Arts Council of the African Studies Association sieht ihren Platz demnach auch zwischen „Geschichten aus Afrika und den neuen Öffentlichkeiten“, die sich den Kartographien von Ethnien und statischen Geografien zunehmend widersetzen. „Und dieser Raum“, so führt John Peffer aus, „bewegt sich selbst wie die Diaspora“ – also durchaus auch in Rückgriff auf Kulturwissenschaftler Stuart Hall, der in seinen umfangreichen Publikationen der Diaspora vor allem als „Artikulation, Divergenz, Lücke“ sowie auch als „Verschiebung zwischen Personen und Momenten in Raum und Zeit“ große Beachtung schenkt.

Neue Wirkmöglichkeiten durch Verschiebungen

An diesem Punkt knüpft aktuell ein diskursiv-künstlerisches Vorhaben an, das die sehr grundsätzlichen Überlegungen zur Bildproduktion auf die Füße stellt und konkrete Schlaglichter auf postkoloniale Alternativen wirft. Im Mittelpunkt steht eine Deterritorialisierung, die im Zuge des kulturellen Wandels auch dem Aufbäumen afrikanischer Kunstpraxen durch Verschiebungen tatsächlich neue Wirkmöglichkeiten eröffnet. Das Projekt nahm seinen Ausgang bereits 2011 bei der Annäherung an das Mandara-Gebirge. In der kargen Einöde des nördlichen Kamerun trifft man auf das Sultanat von Wandala, dessen goldene Ära als überregionales Königreich mit Macht und Einfluss weitgehend verflogen ist. Lediglich der verbliebene Hofstaat erinnert noch mit seiner pompösen Ehrerbietung gegenüber dem Regenten an die vergangene Größe, so als wäre die Zeit stehen geblieben und das unwegsame Gebirge mit seinen schwierigen Lebensumständen dem Weltenlauf entzogen.

An diesem Ort wirkt Afrika wie entrückt, ja fast wie befreit von der kolonialen Last, die sich ansonsten mit ihren vielen Hinterlassenschaften der Gewaltausübung auch im südlichen Sahel nur allzu oft der Topografien bemächtigt hat. Wer hier in die Ferne blickt, begegnet vielleicht sogar dem ideellen Erbe Okwui Enwezors, des ehemaligen Chefkurators der Kunstbiennale in Venedig, der noch vor seinem plötzlichen Tod im März 2019 zur „Kontemplation“ aufrief, um vor der „ganz großen Weltunruhe einen letzten Warnschuss abzugeben“.

Im Herbst 2025 macht Wandala nun Station in Linz – als Bezugnahme auf den realen Ort Wandala, der zur Ausstellung WANDALA wird, und somit zum fiktionalen Raum, der das Drama mit dem Traum vereint, Grenzen auflöst, auf Google Maps nicht zu finden ist und schon gar nicht eine wie auch immer geartete Identität benötigt. Mit dieser Ausstellung, die ab Mitte Oktober im Offenen Kulturhaus (OK) stattfinden wird, gerät die Diaspora der Bilder erneut in Bewegung. Künstlerinnen und Künstler aus Dakar (Senegal), Windhoek (Namibia) und Kampala (Uganda) werden sich WANDALA zu eigen machen, um zu ihrem Afrika differente Deutungen auszutauschen, Schlussfolgerungen zu entwerfen, die disharmonisch aufeinander zugehen und sich zugleich verweben.

Differente Positionen, Brüche, Widerstand

Der Versuch ist es wert, in einer mit Kunst reichhaltig versehenen Landeshauptstadt das Dauerhoch einer unablässig feindlich gesinnten Leitkultur mit Positionen zu konfrontieren, die aus afrikanischen Peripherien gleichermaßen Wut und Verzweiflung sowie Hoffnung und Zuversicht zum Ausdruck bringen. Migration und Flucht sind Realitäten, die das Verhältnis zum globalen Süden in eine immer bedrohlichere Schieflage versetzen. Menschenrechte müssen der kriegerischen Abwehr an den Außengrenzen weichen, zugleich wird das große Sterben im Mittelmeer in Kauf genommen, damit die Festung Europa weiterhin auf die Bilder der Abschreckung setzen kann. Das postkoloniale Gefüge steckt in einer Dynamik der Radikalisierung fest, die nicht hinzunehmen ist und widerständige Erzähl- und Handlungsweisen mehr als zuvor ins Blickfeld rückt.

Davon zeugen auch künstlerische Arbeiten, die im Rahmen von WANDALA zu sehen sein werden. So zum Beispiel von Namafu Amutse. Sie lebt und arbeitet in der namibischen Hauptstadt Windhoek, einem geschichtsträchtigen Zentrum, an dem sich das Unrechtsregime der südafrikanischen Apartheid bis in die Gegenwart tief eingeschrieben hat. Die Aufarbeitung kommt nicht umhin, insbesondere den Körper als Objekt des Beherrschtseins in einen Rahmen zu versetzen, der mit den althergebrachten Konventionen bricht. Die Physis des afrikanischen Mannes ist seit jeher in den Stereotypen gefangen. Kraft und Potenz besetzen die zugeschriebenen Eigenschaften, die immer nur in zweierlei Gestalt in Erscheinung treten – als willenloser Sklave und geschundene Arbeitskraft oder als sexualisierter Gegenstand einer unbändigen Begierde. Mit ihren fotografischen Blickwechseln widersetzt sich Amutse den rassistischen Schablonen mit allem Nachdruck. Genauso tut das auch Mbaye Diop, ein senegalesischer Künstler, der seinen Lebensmittelpunkt mittlerweile in die Schweiz verlagert hat. Er sucht unter anderem die Auseinandersetzung mit der Stadt Dakar und ihrer hybriden Architektur. Zwischen traditionellen Wohnhäusern, kolonialen Prunkbauten und neuesten Immobiliengiganten sieht er ein Kräftemessen der Überurbanisierung, die er selbst mit seinem Körper veranschaulicht. Er greift zum Tennisschläger und projiziert seine Bewegungen, bis deren Monotonie nahezu unerträglich wird.

Namafu Amutse und Mbaye Diop begeben sich auf die Suche nach neuen Schnittstellen der postkolonialen Aushandlungen. Sie erzeugen Brüche, mahnen zur Selbstermächtigung und stellen die vielen Ungerechtigkeiten einer aktuellen Weltordnung bloß, die für sie ein Dasein im Elend der globalen Hinterhöfe vorgesehen hat. „Warum ist Afrika so durchlöchert und unterhöhlt“, fragt Achille Mbembe, „wann wird die Sache angegangen, wohin gehen wir bloß?“ Es ist Zeit, das Antlitz der Versklavung abzulegen und der Viktimisierung, die dem Plündern und Drangsalieren über Jahrhunderte eine treue Gefolgschaft war, eine Abfuhr zu erteilen – mit der längst überfälligen Rebellion der Bilder, mit dem Konflikt im Zorn und dem Widerspruch der Narrative. Linz ist vielleicht ein guter Ort dafür. 2025 und darüber hinaus.

Martin Wassermair ist Historiker, Politikwissenschaftler und Publizist; hat von 2011 – 2014 in Kamerun und Rwanda gelebt; leitet aktuell die Politikredaktion von DORFTV und kuratiert „WANDALA – drama . dream . decolonized!“, ein Kunstprojekt der OÖ Landes-Kultur GmbH in Kooperation mit der Kunstzeitschrift springerin.

Foto: Lire noir sur noir, Espace d’art eeeeh, Nyon, Suisse, Credit: Stéphanie Nduhirahe

Foto: Namafu Amutse: Afrofuturism Meets The Aawambo People, Muse: Linda Nghipulile, 2019.