1974 wurde die Unabhängigkeit des Rundfunks verankert. Sie muss bleiben, nicht nur für den ORF.
Der 10. Juli 1974 war ein denkwürdiger Tag. Nach zähem Ringen um eine ORF-Reform beschloss die SPÖ mit absoluter Mehrheit ein neues Bundesverfassungsgesetz, das dem Rundfunk als nunmehr „öffentliche Aufgabe“ die Unabhängigkeit sichern sollte. Dass ÖVP und FPÖ ihre Zustimmung verweigerten und auch Generalintendant Gerd Bacher, der in Folge bis zu seinem Ausscheiden aus dem Amt wenige Monate später auf sein Weisungsrecht verzichten musste, auf gewohnt eloquente Weise tobte, bestätigt nicht nur im historischen Rückblick die seit Jahrzehnten anhaltende, meist sehr komplexe und aufgeregt geführte Debatte um den Öffentlich-Rechtlichen in Österreich.
Auch das 50-Jahr-Jubiläum führt vor Augen, dass die Konflikte um den ORF noch lange nicht ausgestanden sind. Der seit Jahresbeginn über eine allgemeine Haushaltsabgabe finanzierte Marktführer ist noch immer nicht frei von politischen Einflüssen. Der VfGH hat noch Ende 2023 eine Neuordnung der höchsten Gremien eingemahnt, daraus wird aber vor der Nationalratswahl im Herbst wohl nichts werden. Generell hat das Ansehen zuletzt großen Schaden erlitten, viel Wut gegen den Küniglberg resultiert noch aus der „Lügenpresse“-Stimmung im Zusammenhang mit der Pandemie. Vor diesem Hintergrund haben jene politischen Kräfte leichtes Spiel, denen der „Staatsfunk“ seit jeher ein Dorn im Auge ist – allen voran der FPÖ und ihrem Parteichef Herbert Kickl. Sein autoritärer Machtanspruch hat den ORF ins Visier genommen, um die Handlungsräume der redaktionellen Unabhängigkeit deutlich zu verengen. Ein „Grundfunk“ soll entstehen, aus dem Budget finanziert und damit willfährig gemacht. Mit diesem Ansinnen steht die FPÖ in Europa nicht allein. Björn Höcke verfolgt mit seiner rechtsextremen AfD das gleiche Ziel für Deutschland, in der Slowakei wurde Anfang Juli das öffentlich-rechtliche RTVS durch ein Staatsmedium ersetzt, und im illiberalen Ungarn sind Informations- und Pressefreiheit ohnehin länger schon Geschichte.
Rundfunk ist ORF?
Ist also auch in Österreich für die Unabhängigkeit des Rundfunks schon bald aller Tage Abend? Es kommt ganz darauf an. Der Rechtsgrundsatz von 1974 hat sich bis heute nicht von dem Problem gelöst, dass er aus einer Zeit stammt, in der dem öffentlich-rechtlichen Sender noch eine Monopolstellung zugestanden war. Rundfunk ist ORF – so hat es sich im allgemeinen Bewusstsein festgesetzt. Der gesetzlich definierte Auftrag orientiert sich an Zielsetzungen von Demokratie, gesellschaftlicher Integration und Bildung, tatsächlich aber ist er schon lange nicht mehr nur dem großen Player vorbehalten. Angesichts der rechtspopulistischen Bedrohungen muss die Unabhängigkeit nach 50 Jahren deshalb deutlich mehr als zuvor entlang der Notwendigkeiten von kultureller Vielfalt, breiten Informationsangeboten und medialer Teilhabe neue Wertschätzung erfahren. Dafür braucht es Allianzen, die für mehr kritischen Journalismus eintreten, sich den Begehrlichkeiten der Parteien verweigern und mit einer Stimme für die Unabhängigkeit und dauerhafte Absicherung eines pluralen Rundfunksystems zu streiten bereit sind. Der ORF kann von einem derartigen Bündnis nur profitieren – das runde Jubiläum könnte also ein wichtiger Anstoß sein, zur Stärkung der eigenen Resilienz auch nachhaltig davon Gebrauch zu machen.
Martin Wassermair leitet beim nicht kommerziellen Community-Sender DORFTV die Politikredaktion und ist Mitglied im Vorstand von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich.