Kampfzone Kulturpolitik

Kunst, Kultur und Medien als umkämpfte Territorien

der anzeiger, das Magazin für die österreichische Buchbranche”, hat im August 2008 zur Neuerscheinung des Buches Kampfzonen in Kunst und Medien ein Interview mit mir gemacht.

Davon gibt es eine Kurz- sowie eine Langfassung (siehe unten).

 

Kampfzone Kulturpolitik

Im Sammelband Kampfzonen in Kunst und Medien versammeln die Herausgeber Martin Wassermair und Konrad Becker Texte zur Zukunft der Kulturpolitik. Martin Wassermair im Gespräch.

Interview: Veronika Leiner

Anzeiger 08/2008

Im Allgemeinen wird Kunst gerade nicht als “Kampfzone” wahrgenommen. Für wen ist sie ein Kampfgebiet?

Das Buch ist ein Sammelband von insgesamt 25 Beitragenden, die aus unterschiedlichsten Hintergründen kommen. Darunter sind eine ganze Menge Personen, die tagtäglich im Bereich der Kunst und der Kultur arbeiten, mit Kulturpolitik zu tun haben, und die ihre alltägliche Arbeit sehr wohl als eine sehr konfliktuelle Auseinandersetzung beschreiben. Kunst unterliegt, so wie viele andere gesellschaftliche Sphären, sehr wohl politischen Entwicklungen. Das gilt auch für den Bereich der Medien. Dem wollten wir mit der Wahl des Titels Rechnung tragen. Es handelt sich durchaus um eine kämpferische Situation, nicht zuletzt aufgrund der Jahre 2000 bis 2006, die auch im Buch eine wichtige Rolle spielen. Die sechs Jahre der Regierung unter Wolfgang Schüssel, einer rechtskonservativen Bundesregierung unter Einbeziehung einer rechtsextremen FPÖ bzw. des BZÖ, haben zu sehr massiven Verschiebungen in den Grundlagen und auch im Freiheitsverständnis einer künstlerischen und kulturellen Praxis geführt. Nur unter der Voraussetzung des Verständnisses dieser sechs Jahre kann man den Status quo heute verstehen und darauf aufbauend eine Vision entwickeln, wohin eine Kulturpolitik gehen soll, welche Themen zu verhandeln sind, wo die Konfliktzonen im Bereich Kunst, Kultur und Medien liegen.

Einer dieser Kritikstränge im Buch ist die Neoliberalisierung des Kunst- und Kulturfeldes, der neoliberale Umbau der Förderpolitik seit 2000. Gibt es solche Veränderungen nur in Österreich?

Das ist durchaus ein globales Phänomen, als solches wird es auch im Buch angesprochen, allerdings in den jeweiligen österreichischen Schattierungen und Nuancen. Die selbst ernannte “Kulturnation Österreich” ist ja keineswegs eine Insel der Seligen, auch wenn in Österreich ausnehmend viel Geld für Kunst und Kultur aufgewendet wird – zum Erhalt und Betrieb großer Museen, der Staatsoper usw. In der sozialdemokratischen Regierungspolitik der Siebzigerjahre wurde noch der Anspruch erhoben, Kultur habe gesellschaftliche Relevanz, um Menschen Zugang und Teilhabe an Kultur zu ermöglichen. Das verschiebt sich seit den Achtzigerjahren hin zu einem zunehmend erdrückender werdenden wirtschaftlichen Verwertbarkeitsdenken. Kunst und Kultur haben demzufolge nur dann Relevanz, wenn sich wirtschaftlicher Nutzen daraus ablesen lässt. Damit sind wir zunehmend von einem politischen Verständnis der Kunst entfernt, die vor allem Räume, Denkräume eröffnen, Diskurse initiieren, die durchaus stören, irritieren, Reibungslosigkeiten in Frage stellen soll. Das ist ein Entpolitisierungsvorgang, der sich keineswegs auf Österreich beschränkt, sondern selbstverständlich globale Dimensionen hat. Das ist etwa auch darin spürbar, dass künstlerisches Schaffen zuallererst auch Mobilität erfordert. Die Freiheit der Mobilität ist aber heute u.a. durch Migrationsgesetzgebungen in einem fast bedrohlichen Ausmaß eingeschränkt.

Diejenigen, die in den Bereichen Kunst, Kultur und Medien politisch arbeiten wollen, sich politisch positionieren wollen, geraten zunehmend zwischen die Mühlsteine dieser Entwicklungen. Das Buch ist ein Versuch, diese Erfahrungen in globalen Realitäten zu beschreiben. Nur wenn ich eine klare Analyse dessen vornehme, was ich heute an gesellschaftlichen und politischen Realitäten vorfinde, nur dann versetze ich mich selbst in die Lage, Zukunft zu verhandeln.

Ich gewinne zunehmend den Eindruck, dass die wirklich großen Themen der Kulturpolitik gar nicht am Minoritenplatz verhandelt werden. Die Freiheit der Kunst im Kontext von Mobilität wird nicht im Kunstministerium, sondern in den Innenministerien, in den entsprechenden Gremien der EU verhandelt. Die Frage des Zugangs zu Kulturgütern und deren Austausch, die Entwicklungen im Bereich Copyright sind ein justizpolitisches Thema.

In Ihrem Aufsatz gehen Sie darauf ein, wie stark die ÖVP Kulturpolitik zur Erreichung gesellschaftspolitischer Zielsetzungen einsetzt.

Ich glaube, dass die ÖVP gerade in kulturpolitischer Hinsicht die hegemoniale Kraft schlechthin ist, die über Kulturpolitik wesentlich mehr hegemoniale Macht ausübt, als sie jemals zugeben würde. Die ÖVP tut das sehr gewieft und sehr effizient und verschleiert diese Tatsache gleich auch wieder, vermutlich, weil sie das ihrer Klientel wenig begreiflich machen könnte. Gerade Oberösterreich und Niederösterreich sind zwei Paradebeispiele dafür, wie Kulturpolitik ein integraler Bestandteil der Landespolitik ist; eine geradezu landesfürstliche Regierungsausübung, die sich wie ein breiter Mantel über die gesamte Landesbevölkerung ausbreitet. Dabei werden demokratische Grundsätze ausgehebelt, was etwa in dem Privileg der Landeshauptmänner zum Ausdruck kommt, am Sonntag im ORF-Landesradio persönliche Sendezeit zu erhalten. Ausdruck dessen sind natürlich auch die umfassenden Förderungen und die Omnipräsenz der Traditions- und Trachtenverbände, die ja tief in den Alltag der Bundesländer vordringen. Das alles ist Teil einer konservativen Politik, nicht nur ökonomische Rahmenbedingungen, Arbeitsplätze zu schaffen, sondern auch tief in die Köpfe und Herzen der Menschen vorzudringen. Das ist natürlich berechtigter Politikbestandteil, das sei der ÖVP unbenommen, man muss nur darüber reden und es als solches auch dechiffrieren können.

Während die ÖVP internationale Entwicklungen wie die Schaffung von Freihandelszonen, den Abbau von Barrieren wirtschaftlichen Austauschs begrüßt, soll den ÖsterreicherInnen gleichzeitig ein Wohlgefühl vermittelt werden, weil ja die meisten diese schnelle globale Welt als äußerst bedrohlich empfinden. Genau darauf reagiert die ÖVP und erzeugt so etwas wie ein kollektives Gefühl der Heimeligkeit. Hier herrschen klare Verhältnisse, wer dazu gehört und wer nicht, auch starke Bezüge zu Rassismusdiskursen und Ausgrenzungsmustern.

Die Unterscheidung zur Sozialdemokratie besteht offensichtlich darin, dass die Sozialdemokratie sich ihrer  Werte nicht besinnt bzw. sich ihrer Werte vielleicht auch zu wenig bewusst ist, um sie in Kulturpolitik zu transformieren. Bei der sozialdemokratischen Kulturpolitik kommt ein paternalistisches Verständnis zum Tragen, wo gesagt wird: Wir tun alles für die Menschen, bieten ihnen kostenlose Events wie das Donauinselfest in Wien oder das Stadtfest in Linz. Umgekehrt tut die SPÖ aber nichts bzw. will alles das unterbinden, was konkret politische Teilhabe bedeutet. Sobald Menschen selbst in ihrem unmittelbaren Lebensalltag, in ihrem Wohnort, in ihrem Bezirk, eingreifen, intervenieren wollen, mit Kritik oder was auch immer, dann widerstrebt das der sozialdemokratischen Kulturpolitik. Auch das wird in dem Buch sehr genau beschrieben.

Ist Kulturpolitik abseits parteipolitischer Interessen denkbar?

In der aktuellen Situation wird immer mehr über das Thema Armut gesprochen, auch der Mittelstand kann sich immer weniger leisten. Die Angst vor ökonomischer Not hat historisch immer auch kulturpolitisch etwas in Bewegung gesetzt. Die Wut, der Protest über solcherart Mangel, drückt sich immer auch über kulturelle Codes aus, und ich vermute, dass da schon noch einiges auf uns zukommen wird, womit sich auch die Gesellschaft wird beschäftigen müssen.

Letztendlich wird es zwangsläufig so etwas geben müssen wie eine Repolitisierung der Politik, die sich in Ansätzen bereits abzeichnet: Dass man gerade in Wahlkampfzeiten wieder mehr von Regulierung spricht, selbst diejenigen, die lange Jahre “Mehr privat, weniger Staat” gefordert haben, sehen, dass angesichts der Teuerungen eingegriffen werden muss. Genauso wird man auch seitens der Kulturpolitik, und noch stärker seitens der damit verbundenen Bildungspolitik, der Wissenspolitik, darüber nachdenken müssen, wie wir mittel- bis langfristig sicherstellen können, dass Menschen tatsächlich uneingeschränkten Zugang zu Information, Wissen, Bildung bekommen, den sie dringend brauchen, um sich in dieser Welt zurecht zu finden. In Ansätzen gibt es diese Diskussion schon im Medienbereich, zur Frage ob wir uns den ORF überhaupt noch leisten können und wollen, und wie seine zeitgemäße Aufgabe und Funktion aussehen könnte.

Einige Texte üben Kritik am traditionellen, als überholt betrachteten Urheberrechtsbegriff.

Um ein Missverständnis vorweg auszuräumen: Niemand in diesem Buch fordert, dass UrheberInnen verhungern sollen. Wenn es copyrightkritische Beiträge gibt, dann fordern sie einen differenzierten Blick darauf, was unter dem Stichwort Urheberrecht diskutiert werden muss. Zum einen wird das Urheberrecht, so wie wir es kennen, zunehmend ausgehöhlt, und zwar nicht durch die KritikerInnen, sondern durch “Copyright-Entwicklungen”, die völlig neue Rechtsbestände in den geltenden Rechtsbestand bringen. Ein Beispiel: Nach dem österreichischen Urheberrecht hat jeder und jede ein Recht auf Privatkopie, allerdings kommen über Hintertüren etwa durch Digital Rights Management-Systeme neue Rechtsbestände in unsere Rechtsmaterie, die dieses Recht auf Privatkopie zunehmend aushöhlen. Das führt dazu, dass ich, wenn ich mir heute in einem Plattenladen eine CD kaufe, die kopiergeschützt ist, zwar meines Rechts auf Privatkopie beraubt werde, ich aber keine Möglichkeit habe, dagegen vorzugehen.

Zweitens steht das Urheberrecht nicht zwingend in einem Zusammenhang damit, wovon KünstlerInnen, SchriftstellerInnen leben. Faktum ist, dass nur ein sehr, sehr geringer Teil derjenigen, die schreiben, von dem, was sie schreiben, auch tatsächlich leben können. Ein Großteil hat Jobs, teils prekär, manche aber auch in Institutionen und schreiben im Rahmen ihrer Tätigkeit, so wie ich auch. Nur ganz wenige leben ausschließlich von den Erträgen ihrer Urheberschaft. Das ist für mich ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass die politische Forderung eigentlich eine ganz andere sein muss, dann reden wir über ein Grundeinkommen, für das die Öffentlichkeit zu sorgen hat.

Die Menschen verzichten durch die neuen Technologien ja auch nicht auf das bedruckte Papier und auf das Buch, es haben sich zwar die Lesegewohnheiten verändert, aber letztendlich wird heute, im Jahr 2008, mehr gelesen als jemals zuvor, elektronischer Content, im Netz, auf einem Handheld, am Handy, und im Buch. Um das alles sinnvoll zueinander zu bringen, braucht es eine differenzierte, unvoreingenommene Diskussion, vor allem auch im Hinblick darauf, dass man, wenn man mit zunehmender Repression reagiert, ja in erster Linie denen schadet, von denen man vorgibt sie zu schützen. Gerade UrheberInnen, die in dem Bereich Wissen, Kultur, Content arbeiten, können ja nur arbeiten, indem sie permanent auf vorangegangenes Wissen Bezug nehmen, es zitieren, modulieren. Wenn ich jetzt eine repressive Handhabung des Urheberrechts umsetze, verschließe ich alle Tore und nehme der gesamten Kultur- und Bildungsentwicklung den Atem.

Gerade um Existenzgrundlagen der UrheberInnen langfristig sicherzustellen, muss man einen differenzierten Blick auf diese sehr komplexe Materie entwickeln, um Lösungen zu erarbeiten. Da gibt es auch im Kulturbereich enormes Unwissen, da herrscht die nackte Existenzangst, die man natürlich auch ernst nehmen muss. Der Beitrag von Felix Stalder, einem der Versiertesten auf diesem Gebiet, ist ja liebevoll, indem er ausgerechnet das historische Beispiel Mozart herausgreift und aufzeigt, eigentlich ist Österreich das Land der Piraterie.

Die österreichische Medienlandschaft wird in einigen Texten als paternalistisch und von Parteien dominiert beschrieben. Ist das ein österreichisches Spezifikum?

Da kommen verschiedene Entwicklungstränge zusammen, die ein sehr explosives, negatives Gemisch erzeugen. Zum einen haben die Vertreibung und die Vernichtung von Intelligenz im Nationalsozialismus gerade den Mediensektor besonders hart getroffen. Viele derer, die in Auschwitz vernichtet wurden, haben hier in Österreich namhafte Medien betrieben, und das war nicht zu ersetzen und es gab auch kein Interesse, das zu ersetzen. Das andere ist, das hat Fritz Hausjell kürzlich in einem Kommentar in der Presse beschrieben, es gibt in Österreich keine mediale Kompetenzbildung, öffentlich über die Bedeutung, die Funktion von Medien zu diskutieren. Der Anlassfall war der Brief von Faymann und Gusenbauer an die Kronen Zeitung und die für viele Intellektuelle doch sehr ernüchternde Erkenntnis, dass sich die Bevölkerung gleichgültig verhält, wer der Kronen Zeitung einen Brief schreibt, weil darin kein Vergehen gesehen wird. Dass in Österreich so wenig Verständnis für Medienkritik vorhanden ist, hat natürlich einerseits damit zu tun, dass das in den Schulen nicht gelehrt wird. Wir haben ein paternalistisches, fast monarchistisches Medienverständnis, so wie es die Landesfürsten gibt, gibt es auch die Medienfürsten, die sich auch als solche gerieren und die in ihrer Rolle so auch gutgeheißen werden. Wenn etwas schief läuft, dann wird sich der Hans Dichand schon dazu äußern, der, so wie der Bundespräsident, quasi über den Dingen steht, und der wird schon irgendwie korrigierend eingreifen. Ich glaube nicht, dass sich das nur innerhalb der Staatsgrenzen bewältigen lässt. Ich hoffe, dass europaweit eine Diskussion in Gang kommt, zu den Bürgerrechten, dass Bewusstsein geschaffen wird, dass wir nicht bloß Untergebene einer staatlichen oder medialen Ordnung sind, sondern dass die Menschen auf breiter Basis Widerstand dagegen entwickeln, sich diesen medialen Raum auch selbst erschließen und aneignen.

Es geht dem Buch auch darum, diese Positionen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Gelingt das?

Wir werden die Welt nicht damit verändern, aber ich sehe durchaus erfreuliche Effekte durch dieses Buch: Erstmal schafft so ein Buch Sichtbarkeit für Positionen, die ohne ein solches Buch nicht sichtbar wären. Und es bewirkt offenbar etwas, das zeigt etwa der Umstand, dass im Kulturministerium große Nervosität herrschte, als zu Beginn des Jahres der Beitrag von Thomas Mießgang zur sozialdemokratischen Kulturpolitik im Standard vorabgedruckt werden sollte. Das zeigt auch, dass das Buch unbedingt notwendig ist.

Martin Wassermair, geb. 1971, Historiker und Politologe, war u.a. Geschäftsführer der Wiener Medienkultur-Plattform Public Netbase und Sprecher der IG Kultur Österreich, seit 2007 tätig für das World-Information Institute http://world-information.org/wii. Herausgeber und Autor zahlreicher Sammelbände, u.a Generation Sexkoffer (Löcker, 2007), rebranding images (StudienVerlag, 2006), http://wassermair.net