Kampfzonen in Kunst und Medien IV

Im Spectrum der Tageszeitung Die Presse erschien am 3. Juli 2010 eine ausführliche Besprechung des Sammelbands Kampfzonen in Kunst und Medien.

Elche und andere Kritiker

Von Thomas Rothschild

Die diskussionswillige Öffentlichkeit bleibt auf der Strecke, wenn Kulturpolitik gemacht wird, so die Hauptthese in der Essaysammlung "Kampfzonen in Kunst und Medien". Eine Bestandsaufnahme aus Kakanien.


Dient Kunst als Segment nur noch dem urbanen Entertainment sowie dem städtetouristischen Wettbewerb Europas?", fragen mit einer etwas irritierenden Wortstellung die Herausgeber dieses Aufsatzbandes, dessen militaristischer Titel im Editorial mit dem Stichwort "Schlachtfelder" noch übertroffen wird. Kampfzonen und Schlachtfelder im Land der paritätischen Kommissionen und Großen Koalitionen? Man ist gespannt. Man weiß ja nie genau, was im Keller versteckt wurde.

Es sind Wahrheiten, aber leider nur halbe Wahrheiten. Die Herausgeber stellen fest: "Forschung und Lehre wurde das Humboldtsche Ganzheitsprinzip mit dem neoliberalen Rohrstab ausgetrieben, stattdessen werden die Studierenden durch das im Bologna-Prozess vereinheitlichte Hochschulwesen gejagt." Das ist wahr. Wahr ist aber auch, dass die meisten Hochschullehrer mit jenen Politikern kollaborierten, die diese Entwicklung seit gut einem Jahrzehnt zu verantworten haben.

Gerhard Ruiss, der langjährige Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren, weist darauf hin, dass "Publikumsdiskussionen mit Kulturverantwortlichen, die über Selbstdarstellungsauftritte hinausgehen", kaum mehr stattfinden, sich dafür aber "die Empfänge zu Repräsentationszwecken" mehren, was jedoch "der noch vorhandenen diskussionswilligen Restöffentlichkeit auch nicht auffällt, weil sie dort nicht hingeht". Wie wahr. Wer aber geht hin und spielt dort seinen Part? Falls Zweifel bestehen, empfehle ich den Österreichempfang bei der Frankfurter Buchmesse. Die Selbstdarstellung, darauf ist Verlass, beschränkt sich nicht auf die Kulturverantwortlichen. Sie wissen, wen man mit einem Glas Prosecco locken kann. Die essen mit angeregtem Appetit bei Morak oder Schmied Brötchen wie die Universitätsprofessoren bei Einem, Gehrer oder Hahn – und alle miteinander auf des Kanzlers Gartenfest. Würdige Vertreter, wissenschaftliche Elite. Und wo bleibt derweilen die diskussionswillige Restöffentlichkeit?

Felix Stalder befasst sich mit dem leidigen Thema Urheberrecht. In der Beschreibung des antidemokratischen Rituals einer Wiener Ausstellungseröffnung durch Marlene Streeruwitz erkannte ich die Veranstaltungen der Österreichischen Gesellschaft für Literatur im Palais Palffy vor nunmehr 45 Jahren wieder. Die Kampfzonen haben sich nicht verändert. Offenbar hat der Kampf nicht stattgefunden. Auf den Goldstühlchen sitzen immer noch die gleichen – nun ja, wie sage ich das vornehm?

Thomas Trenkler schreibt über die Ausgliederung der Kunstmuseen. Über die engere Thematik des Gedenkens, wie es sich seit dem "Gedenkjahr" 2005 für sie darstellt, reflektiert Isolde Charim. Sie konstatiert eine Entpolitisierung des Gedenkens und darüber hinaus der Geschichte. Damit hat sie ganz allgemein sicher Recht. Fragt sich nur, was daran spezifisch österreichisch ist. Der Ausgangspunkt war in Deutschland nicht erst 2005 ein anderer. Aber die beschriebene Tendenz trifft man dort ebenso an wie in Österreich, und es gibt dafür schon eine Menge Erklärungen. Man könnte sogar behaupten, dass Charims Diagnose eher für Deutschland gilt als für Österreich: hier nämlich, wo Sisi-Filme und Mayerling-Devotionalien das Geschichtsbild bestimmten, wo das Schlagwort vom "Habsburger Völkerkerker" längst durch eine verklärende Mitteleuropanostalgie ersetzt wurde, gab es, was das Gedenken betrifft, nicht sehr viel, was hätte entpolitisiert werden können. Das Erstaunen des Herrn Karl darüber, dass er jetzt bös ist, der Tennenbaum, hat in unübertrefflicher Weise die österreichische Kondition auf den Begriff gebracht.

Dagmar Travner kann für die fünf Jahre der ÖVP/FPÖ-Koalition keine wesentlichen Veränderungen gegenüber der vorausgegangenen Kulturpolitik erkennen. Und sie kommt zu dem Schluss, die Kunst werde in ihrem Überlebenskampf "notgedrungen mehr und mehr politisiert, bedient sich des Instruments der Erregung, um selbst Aufmerksamkeit zu erregen". Wiederum: Ist das tatsächlich eine Tendenz der vergangenen Jahre? Travner nennt selbst Handke, Turrini, Nitsch und Bernhard. Die haben doch lange vor Haider und Co. erregt. Und so politisch wie Geiger, Kehlmann und Glavinic waren Aichinger und Fried, Scharang und Kerschbaumer, Henisch und Jelinek allemal.

Daniela Koweindl protokolliert die Misere um den Künstlersozialversicherungsfonds. Marlene Streeruwitz meldet sich noch einmal zu Wort, mit einem poetischen Text zur ökonomischen Lage von Schriftstellerinnen. Poetisch ist auch Helmut Ploebsts Fantasiestück zur Performance von Politik und Kunst in Österreich. In die Provinz führt Andreas Wahl. Weiter geht’s mit Ansichten zur Musik und zum Film, zum Museumsquartier, zur ÖVP, zu den Medienintellektuellen und antirassistischem Widerstand, zum Stellenwert der künstlerischen Intelligenz und der Kunst selbst, zur Ökonomie, zur Wissenschafts- und Hochschulpolitik und zu den Medien.

Die auch sprachlich anregendsten Beiträge stammen von Joachim Riedl und von Thomas Mießgang, die sich beide nicht den sozusagen "natürlichen" Gegner, sondern die Sozialdemokratie vornehmen. Mießgang schreibt: "Umso enttäuschender, dass der SPÖ, die nach dem nationalkonservativ-neoliberalen Intermezzo die Chance gehabt hätte, das Feld völlig neu zu vermessen, nicht mehr einfiel, als den Morak-Kurs mit ein paar Akzentverschiebungen im Mikrobereich einfach fortzusetzen." Fiel der SPÖ wirklich nicht mehr ein, oder war der Morak-Kurs nach ihrem Geschmack? Sie sprechen es meist nicht offen aus. Aber dass Kunst und Kultur bei der SPÖ vor Morak eine hohe Priorität gehabt hätten, kann niemand ernsthaft behaupten.

Thomas Mießgang ist leitender Kurator der Kunsthalle Wien, einer Einrichtung der Stadt Wien, deren Kurator man – formulieren wir vorsichtig – ohne eine gewisse Nähe zur SPÖ nicht wird. Man darf also fragen, was Mießgang unternommen hat, um die Fortsetzung des Morak-Kurses zu unterbinden. Wo blieb sein Ultimatum? Ein paar flapsige Scherzchen wie am Ende seines Beitrags werden da nicht reichen.

"Die schärfsten Kritiker der Elche sind nach wie vor selber welche." Das stimmt zwar metrisch nicht. Inhaltlich aber stimmt es hundertprozentig.