Wenn am 7. Juni 2008 in Basel der Anpfiff zur Fußball-Europameisterschaft erfolgt, dürfen sich nicht nur in der Schweiz Politik und Wirtschaft die Hände reiben. Das Sportgroßereignis gleicht auch in Österreich der Verwirklichung einer Wunschmaschine, die viele Sehnsüchte mit einem Paukenschlag bedient. Mediale Selbstdarstellung, gigantische Marketing-Erträge sowie Rekordzahlen in Gastronomie und Tourismus garantieren schon jetzt ein versöhnliches Augenzwinkern für die Verschärfung der Sicherheitsgesetzgebung, die uns nicht zuletzt Einschränkungen der grundrechtlich verbrieften Bewegungsfreiheit als Maßnahmen zur Hooligan-Prävention schmackhaft machen will. Seit Monaten wird die Öffentlichkeit auf einen volksfestartigen Ausnahmezustand vorbereitet, dem sich – so sehen es die “Spielpläne der Emotionen” vor – letztlich niemand entziehen soll. Die Ausweitung der Polizei-Befugnisse sowie die Aufrüstung privater Ordnungsdienste sind dabei nur Ausschnitte jener Realitäten, die mit dem Finale am 29. Juni kein Ende finden werden.
Der französische Situationist und Filmemacher Guy Debord glaubte vor vier Jahrzehnten insbesondere an den künstlerischen Kampf gegen die Unterjochung in einer Gesellschaft des Spektakels. Im Vorfeld der EURO 2008 wäre er wohl zutiefst betrübt. Denn während die Schweiz der öffentlichen Förderung eines Kulturprogramms per Volksentscheid eine mehr knausrige als gegen das Profitdenken gerichtete Absage erteilte, kann dem Austragungspartner Österreich die begleitende Marschmusik gar nicht pompös genug sein.
“Zahlreiche Projekte”, heißt es bei der von der Bundesregierung großzügig unterstützten Initiative “Österreich am Ball”, “sollen die internationale Bedeutung eindrucksvoll unterstreichen”. Die Kompensation der rot-weiß-roten Spielschwächen wird damit ausgerechnet Kunsteliten übertragen, die ihre Distinktion gegenüber dem Massenphänomen Fußball oft nicht deutlich genug zum Ausdruck bringen können.
“Emotionszonen”
Doch nicht nur die glanzvollen Spielstätten des österreichischen Kulturlebens fühlen sich nun verpflichtet, dem zahlungskräftigen Publikum um den Hals zu fallen. Nicht minder sticht ins Auge, mit welchem Ehrgeiz institutionell unabhängige Projektgruppen auf das Spielfeld stürmen, um am großen EURO-Kuchen teilhaben zu dürfen. Noch war die Mannschaftsaufstellung für das Kulturprogramm keine ausgemachte Sache, unternahm im Herbst 2007 eine von namhaften Persönlichkeiten der Wiener Kunstszenen getragene “plattform 32” bereits erste Aufwärmrunden. Ein Mitmachkonzept solle “Emotionszonen” schaffen, etwa am Kunstplatz Karlsplatz, damit die von Jubel und Leid aufgewühlten Fans mit Graffiti-Sprühen und vielen anderen kreativen Übungen wieder ihren Ausgleich finden können.
In Österreich bietet die Kunst immer weniger einen Ort der Utopie. Stattdessen hat man sich an kunstvoll verzierte Müllverbrennungsanlagen und die Kooperation einer ehemals avancierten Medienkultur mit der Industrie gewöhnt. Eine Politisierung im Sinne dessen, dass die künstlerische Praxis vor allem auch als Stoff für Kritik der Allgemeinheit zur Verfügung steht, ist seit langem in der Defensive. Wer das System der Zurschaustellung und der Überwachung ablehnt, sieht sich mittlerweile übervorteilt von einem Kunstbetrieb, der unter dem keineswegs so neuen Diktat der Kreativwirtschaft mit zunehmender Vehemenz in einen Wettbewerb eintritt. Verweigerung und radikale Gesten sind hier nicht opportun, dieses Gebot ist vor Auftakt der Fußball-Europameisterschaft mehr als nur ein Zwischenstand.
Man muss den Stil der “Ultras” in den Fankurven der Fußballklubs nicht teilen, wenn sie dem Trademark-Getue der EURO 2008 in martialischer Inszenierung den Stinkefinger entgegenstrecken. Es ist aber zu konstatieren, dass die Kriminalisierung durch Politik und Medien den Blick auf eine politische Bildsprache verstellt, die der Eingemeindung in die Kommerzabsichten dieser Großveranstaltung sich verweigert, Österreichs Kulturschaffende aber leider vermissen lassen.
Daher der Appell: Wer mit Kunst Geld verdienen will, möge bitte den Fußball davon verschonen. Wer sich aus aufrichtiger Ehrfurcht vor der Faszination des runden Leders verneigt, soll sich gegen die Vermarktungsmaschinerie erheben und damit auch der prekarisierten Kunst einen politischen Dienst erweisen. Für einen Seitenwechsel bleiben noch ein paar Wochen Zeit.