Wofür stehen die zwei B in der Medienpartizipation?

Demokratieerneuerung durch Bedeutung und Behauptung

Am 14. März 2024, also genau einen Tag vor der von DORFTV, VHS LINZ und der Initiative „mehr demokratie!“ organisierten Konferenz „Medien.Partizipation.Demokratie“, veranstaltete der Oberösterreichische Landtag ein Symposium zum Thema „Zukunft der Demokratie – Demokratie der Zukunft“. Es sind durchaus Zweifel angebracht, inwieweit sich ausgerechnet das oberösterreichische Landesparlament dazu eignet, Demokratie und ihre Zukunft zu erörtern – denn an diesem symbolträchtigen Ort sind Defizite besonders augenfällig. Kritische Stimmen beklagen seit Jahren die Unzulänglichkeit von Kontrollmöglichkeiten, hinzu kommt die nach dem Proporzsystem zusammengesetzte Landesregierung, die dem demokratiepolitisch so wichtigen Wechselspiel von Regierenden und Opposition bis heute im Wege steht.

Zivilgesellschaftliche Medien haben eine bessere Ausgangssituation. Sie befinden sich zwar unentwegt in einer prekären Lage, verfügen aber allemal über mehr Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit. Das soll sich auch in den Zielsetzungen meiner kommenden Ausführungen widerspiegeln. Zuerst unternehme ich eine Einordnung und Bewertung des demokratischen Systems unter den Vorzeichen unserer gegenwärtigen Medienentwicklung. In weiterer Folge versuche ich, die notwendigen Schlüsse für die zivilgesellschaftliche Medienaneignung daraus zu ziehen.

Gemeinschaft und Gesellschaft

Dazu möchte ich ein paar grundsätzliche Gedanken zur Demokratie anstellen. Wir unterscheiden gemeinhin zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft. In einer Gemeinschaft bin ich Teil. In der Gesellschaft ist hingegen für mich vorgesehen, dass ich daran teilhabe. Wesentlich ist dabei, dass die Gemeinschaft (Teil-Sein) vom Prinzip der Harmonie getragen ist. Es muss schon stimmig sein, um sagen zu können: Wir sind eine Gemeinschaft. Die Gesellschaft (Teil-Habe) wiederum unterscheidet sich davon. Sie braucht die Gegensätze und den Konflikt. Deshalb ist Demokratie weniger mit Gemeinschaft, als vielmehr mit Gesellschaft in Verbindung zu bringen. In diesem Zusammenhang lässt sich auch ein Modell heranziehen, das die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe geprägt hat und von ihr als „agonistische Demokratie“ beschrieben wird. Sie postuliert Demokratie als einen Austragungsort gesellschaftlicher Konflikte, an dem unterschiedliche Positionen und Standpunkte versuchen, politische Hegemonie zu erlangen.

Bei der Demokratie geht es also um Gesellschaft – und um die Vergesellschaftung des Individuums. Das historisch bedeutsamste Projekt der Vergesellschaftung, wie wir sie kennen, ist die Nation. Die Nation zielte in der Moderne darauf ab, sehr gegensätzliche Interessen und Gruppierungen unter ein gemeinsames Dach zu bringen, sie in einen Rahmen zu setzen. Vor diesem Hintergrund habe ich die Metapher der nackten Demokratie gewählt, wie sie von Isolde Charim verwendet wird (Charim 2019). Die Philosophin und Publizistin sieht die Nation in einer Situation des Entschalens, wodurch sie zusehends an Stellenwert einbüßt – vor allem im Hinblick auf ihre Funktion der Vergesellschaftung.

Das geht durchaus auch mit der Erinnerung an Margaret Thatcher in den 1980er Jahren einher. Die britische Premierministerin war, ideologisch eng verbunden mit US-Präsident Ronald Reagan, eine rücksichtslose Antreiberin des neoliberalen Sozial- und Demokratieabbaus. Noch heute klingt einer ihrer zentralen Kampfrufe nach: „There is no Society!“ Thatcher versuchte also nicht nur zu überzeugen, dass es zu ihrem sozio-ökonomischen Programm keine Alternative gäbe („There is no Alternative!). Nein, sie stellte auch die Gesellschaft an sich radikal in Frage. „There is no Society!“ Dabei zeigen sich die Verwerfungen bis in die Gegenwart in einer weitreichenden Dramatik.

Demokratie als Elitenprojekt

Der Gegensatz von Arm und Reich hat seit jeher den Weltenlauf bestimmt, ebenso wissen wir schon sehr lange vom Gegensatz zwischen oben und unten. Was mittlerweile – und zwar ganz entscheidend – neu hinzukommt, ist ein Gegensatz zwischen Innen und Außen. In den alltäglichen Debatten hören wir oft von den Abgehängten. Tatsächlich stehen wir vor dem Problem, dass sich immer mehr Menschen abgehängt fühlen. Allzu viele Menschen, und es werden immer mehr, nehmen die Demokratie als ein Elitenprojekt wahr. Die Mächtigen, so heißt es oft, könnten es sich richten. Niemand interessiere sich für mich und mein Wohlbefinden. Meine Bedürfnisse hätten keinerlei Geltung mehr. So stellt sich das neue Innen und Außen dar – mit zunehmend dichotomer Intensität. Dass Demokratie als ein Elitenprojekt wahrgenommen wird, mussten wir vor allem bei den sogenannten Corona-Protesten sehen. Die Pandemie, die uns alle ganz plötzlich in einen Ausnahmezustand versetzte, hat den Regierenden trotz aller Unkenntnis der Sachverhalte schwierige Lösungen abverlangt. Zahlreiche Menschen fühlten sich dadurch so stark ihrer Grundrechte beraubt, dass sie die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Ausbreitung wie einen Gewaltakt wahrgenommen haben, so als hätte man sie von Innen in ein Außen verstoßen.

Zugleich beobachten wir eine starke Krise der Repräsentation. Ich kann jetzt gar nicht so sehr ins Detail gehen, was neue Trends etwa im Zusammenhang mit Identitätspolitiken bedeuten, aber da entstehen neue Brennpunkte bei in sich geschlossenen Gemeinschaften und ihrem konfliktreichen Verhältnis zur Gesellschaft. Dazu ein Beispiel: Anfang Februar hatte ich eine Studiodiskussion im Politikprogramm von DORFTV zur Fragestellung, inwieweit selbstbestimmte Geschlechteridentitäten eine binäre Gesellschaft verändern. Noch nie gab es im Anschluss an eine meiner Sendungen eine derart aufgeregte Debatte wie zu diesem Thema.

Medienaneignung und Beteiligung

Was aber sind nun die Schlussfolgerungen für die Medienaneignung? Dazu ist vorerst festzuhalten: Wir glauben an die Demokratie, weil wir an ihre Versprechungen glauben wollen! Das erste Versprechen der Demokratie ist die politische Gleichheit. Alle Menschen sind gleich, das ist ein unumstößlicher Rechtsanspruch, den wir in einer Demokratie als verbindlich erachten. Bei der EU-Wahl am 9. Juni wird uns dieses Recht in Form der Möglichkeit zur Stimmabgabe einmal mehr eingeräumt. Dass angesichts von Menschen, die schon lange im Land leben, nicht aber zur Wahl zugelassen sind, erst recht wieder Ausschlüsse geschaffen werden, ist allemal eine Gefahr für die Demokratie. Sie findet allerdings viel zu wenig Beachtung. Das zweite Versprechen der Demokratie bezieht sich auf die gesellschaftliche Teilhabe. Der demokratische Zusammenhalt gelingt nur, wenn wir Menschen das verbriefte Recht erteilen, sich zu beteiligen, mitzugestalten und mitzubestimmen.

Damit bin ich auch schon bei den zwei B in der Medienpartizipation, sie stehen für Bedeutung und Behauptung. Bedeutung meint, Geltung und Gewicht zu haben. Sich zu behaupten hingegen, einer Sache gewachsen zu sein und sich durchzusetzen. Die zwei B können als Parameter dafür herangezogen werden, was wir unter Medienaneignung bzw. unter Medienarbeit verstehen sollten. Diese zwei B, also Bedeutung und Behauptung, sind messbar. Sie sind einerseits zu messen an Rahmenbedingungen, die wir auch selbst zum Thema machen. Dazu zählen globale Ungleichheiten, aktuell insbesondere auch Migration und Flucht. In der ersten Märzwoche war Gerald Knaus bei DORFTV zu einem Studiogespräch zu Gast, der als Experte über das große Sterben an der tödlichsten Grenze der Welt, der EU-Außengrenze, gesprochen hat. Wichtige Rahmenbedingungen schafft für uns allerdings auch die Klimakrise. Wir alle wissen: Wenn wir jetzt nicht handeln, werden die Generationen nach uns eine schreckliche Zukunft vorfinden. Darüber hinaus sind Krieg und Zerstörung wieder in unseren mitteleuropäischen Wahrnehmungsraum zurückgekehrt. Soziale Verwerfungen haben ihre Ursachen, wie bereits erwähnt, in einer wachsenden Armut und der damit verbundenen Exklusion – eine enorme Gefahr für die Demokratie. Da muss man nicht zwangsläufig nach Nordkorea verweisen, selbst innerhalb der Europäischen Union beobachten wir das Entstehen illiberaler Demokratien, in denen mit dem Rechtsstaat die Medien- und  Informationsfreiheit regelrecht demontiert werden.

Bedeutung und Behauptung sind verschränkt. Sie sind messbar und müssen auch an unserer eigenen Selbstverortung gemessen werden  Und zwar im Sinne dessen, welchen Ort wir uns in der Medienarbeit geben wollen. Welche Gestalt nehmen wir an? Wie sieht das Design aus, das gleichzeitig auch als Mitteilung an die Öffentlichkeit zu verstehen ist?  An diesem Punkt kommt eine gewisse Medienkulturgeschichte zum Tragen, weil auch DORFTV mit den Wurzeln in der Netzkulturentwicklung einer digitalen Demokratiebewegung entsprungen ist. In diesem Zusammenhang gilt das besondere Augenmerk der Autonomie und eigenen Unabhängigkeit, was die Server- und TV-Infrastrukturen betrifft. Der Linzer Community-Sender darf zu Recht stolz darauf sein, mittlerweile fast 20.000 Videos in einem eindrucksvollen Medienkulturarchiv öffentlich und frei zugänglich anbieten zu können. Damit ist DORFTV nicht abhängig von YouTube, das vielen eine Plattform bietet. Sie birgt die große Gefahr, von Google, dem Eigentümer, abgedreht zu werden. Bei DORFTV ist das nicht der Fall.

Bildsprachen und Narrative

Eine wichtige Rolle spielt zudem die Pluralität audiovisueller Informationen, die Vielfalt der Bildsprachen – denn Demokratie muss sich in pluralen Ästhetiken ebenso beweisen. Das ist insofern von Bedeutung, als die Darstellung selbst auch Botschaften vermittelt. Damit bin ich bei der Beteiligung an der Bedeutungsproduktion. Wenn wir in Österreich am 9. Juni das EU-Parlament wählen, stellt sich einmal mehr die Frage nach dem Narrativ, das uns die Europäische Union näher bringen soll. Warum ist sie für uns überhaupt interessant und wünschenswert? Eines der großen Probleme der EU in den vergangenen Jahren war es, keine Narrative hervorgebracht zu haben. Eine gemeinsame und verbindliche Erzählung, warum es als sinnvoll anzusehen ist, der Europäischen Union anzugehören. Wir, die wir uns vielleicht europäisch fühlen, haben für uns eigene Erklärungen. Die Medienaneignung in einer zivilgesellschaftlichen Form hat die wirkmächtige Möglichkeit, aktiv in die Produktion von Narrativen einzusteigen. In Verbindung mit Meinungsbildung und Diskurs.

Meinung ist nichts Unanständiges, Meinungsbildung schon gar nicht. Lösen wir uns doch von einem völlig falsch verstandenen Objektivitätsanspruch, der meist nichts anderes als eine fragwürdige Verweigerung zum Ausdruck bringt, zu brennenden Fragen unserer Zeit Stellung zu beziehen. Eine Diskussion über Menschenrechte und ihre Universalität führe ich nicht „objektiv“, dazu muss ich eine klare Haltung haben. Auf diese Weise könnte auch die notwendige Repolitisierung ermöglicht werden. In diesem Sinne ist es Aufgabe der selbstbestimmten Medienaneignung, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen und Partei zu ergreifen. Wir müssen Rückgrat und Haltung beweisen, was eben nicht heißen darf, sich zurückzulehnen und in einem zweifelhaften Objektivitäts- und Neutralitätsgebot Ausflüchte zu suchen.

Damit komme ich allmählich zum Schluss. Wer über die Demokratie der Zukunft oder die Zukunft der Demokratie nachdenkt, kommt nicht umhin, ein Schlaglicht auf die redaktionelle Gesellschaft zu werfen, die schon in den vergangenen Jahren insbesondere von Bernhard Pörksen sehr konkret auf den Punkt gebracht wurde (Pörksen 2023). Der deutsche Medienwissenschaftler geht von der Analyse aus, dass wir aufgrund von multiplen Informationseinflüssen und einer bislang nicht gekannten digitalen Beschleunigung mit geradezu „aufschäumenden Aufmerksamkeits-Exzessen“ konfrontiert sind. Alle stehen permanent unter Strom, ein aufgeregtes Dasein in einem ständigen „Hyper, Hyper“.  Das wird uns allmählich immer mehr zum Problem.

Vor diesem Hintergrund argumentiert Pörksen, dass wir der Verzweiflung der traditionellen Medien dennoch mit neuem Selbstbewusstsein begegnen sollten. Namhafte Zeitungen beklagen seit Jahren, nicht mehr die alleinige Torwächterfunktion in den Informationswelten einzunehmen. Im Zuge der Digitalisierung finden eben auch viele andere ernstzunehmende Möglichkeiten vor, sich zu artikulieren und am öffentlichen Geschehen zu beteiligen. Das eröffnet grundsätzlich eine Vielzahl von Chancen im Hinblick auf die Notwendigkeit, unsere Diskurskulturen neu zu demokratisieren. Dieser sehr konkreten Utopie zufolge ließen sich zugleich neue Normen und Prinzipien eines öffentlichen Sprechens ableiten, die sich auch die zivilgesellschaftliche Medienaneignung als Maximen zu eigen machen sollte.

Wiedervergesellschaftung

Damit bin ich bei der Conclusio und einer nochmaligen Erläuterung, weshalb die Zusammenhänge von Medien, Demokratie und Partizipation sowie Gemeinschaft und Gesellschaft unser aller kritische Aufmerksamkeit verdienen. Die zwei B in der Medienpartizipation, Bedeutung und Behauptung, schaffen dringend erforderliche Perspektiven auf eine Wiedervergesellschaftung. Die Gemeinschaft erlebt dieser Tage eine beunruhigende Hochkonjunktur. Da genügt der Blick nach Deutschland, wo höchst gewaltbereite Traktoren-Demonstrationen auf bedrohliche Weise zu erkennen geben, was mit gemeinschaftlichen Zuspitzungen auf eine Demokratie zukommen kann.

Mit unseren TV-Stationen und Freien Radios sowie durch eine breite Einbeziehung vieler Menschen tragen wir jedenfalls nicht unwesentlich zur Wiederherstellung von Gesellschaft bei. Die Demokratie gewinnt dadurch einen wichtigen Ort politischer und gesellschaftlicher Aushandlungen, der zugleich Hoffnung gibt, dass sie mit ihren Versprechungen das so wichtige Vertrauen zurückgewinnen kann. Partizipative Medienaneignung wird die Demokratie nicht als Heilsbringerin für alle Ewigkeiten retten. Das macht auch keinen Sinn, denn Demokratie ist jeden Tag aufs Neue zu argumentieren und zu erkämpfen. Wir, damit meine ich neben DORFTV den gesamten Sektor des Nichtkommerziellen Rundfunks, können allerdings die Versprechen der Demokratie ein Stück weit einlösen – vor allem im Hinblick auf politische Gleichheit und eine gerechte Teilhabe an unserer Welt.

Bei dem Text handelt es sich um die redigierte Fassung eines Vortrags im Rahmen der Tagung Medien.Partizipation.Demokratie am Freitag, 15. März 2024, im Linzer Wissensturm.

 

Quellenangaben

Charim, Isolde (2019). Die nackte Demokratie, in: DEMOKRATIE! Zumutung oder Zukunft. Tagungsband zum Symposion Dürnstein 2019, Hamburg.

Pörksen, Bernhard (2023). Die redaktionelle Gesellschaft. Eine konkrete Utopie für die digitale Diskurskultur, in: Bundeszentrale für Politische Bildung (Hrsg.). Aus Politik und Zeitgeschichte, 73. Jahrgang, 43 – 45/2023, Bonn.