Screenshot 1: Im Spätherbst 2007 warb eine italienische Textilhandelskette auf ihrer .at-Website für die Kollektion des nahenden Winters. Männliche Models posierten auf kunstvoll gefertigten Fotos, deren Ästhetik in erster Linie durch die raffinierten Details der für die Aufnahmen gewählten Umrahmung zur Entfaltung kommen sollte. Es war ein durchaus kundiges Auge erforderlich, um der Collage zu entnehmen, dass es sich im Hintergrund um Rachel Whitereads Mahnmal handelte. Unversehens mutierte das Monument am Wiener Judenplatz zur digitalen Matrize einer globalen Marketingoffensive, die sich nicht dem Erinnern an das Grauen der NS-Tötungsmaschinerie verpflichtet fühlt. Die Visualisierung des Unaussprechlichen wurde mit wenigen Kunstgriffen des Grafikdesigns zum Opfer der Gier nach Umsatzsteigerung.
Screenshot 2: DJ Tomekk, ein Rapper, der sich aus einer Berliner Plattenbausiedlung in die vordere Liga der internationalen HipHop-Szenen empor gearbeitet hatte, zählte Anfang des Jahres 2008 zu jenem Kreis der schon etwas ramponierten Prominenten, die als Beteiligte am “Dschungelcamp” dem Kölner Privatsender RTL zu Gewinn bringenden Einschaltquoten verhelfen sollten. Was als Adventure-Klamauk konzipiert ist, kann aber auch sehr schnell zu nicht mehr steuerbarer Enthemmung führen. In Windeseile wurde wenige Stunden vor Übertragungsbeginn ein verwackeltes Video auf den verschiedensten Internet-Plattformen herum gereicht, das den international bekannten Musiker mit dem zum Hitlergruß erhobenen rechten Arm und beim Absingen der Nazi-Hymne “Deutschland, Deutschland über alles!” zeigte. Das Barometer der Marktanteile schlug dann tatsächlich kräftig aus. Allerdings für das Online-Portal der deutschen Bild-Zeitung, die des Rappers unsägliche Entgleisung in rasantem Tempo an die Öffentlichkeit beförderte und damit wohl auch mit hoch dotierten Zuwendungen der Werbewirtschaft rechnen durfte.
Die ausgewählten Bildschnipsel erzählen nicht vom ganzen Umfang des Sachverhalts. Das Urwald-Abenteuer ging nämlich für Tomekk bereits zu Ende, noch bevor er sich mit der Machete im Kampf gegen Naturgewalten als TV-Entertainer beweisen konnte. Der Quoten-Tanker RTL geriet angesichts der Protestwelle so sehr ins Wanken, dass nur durch den Rauswurf ein noch größerer Schaden abzuwenden war. Und auch die italienische Modemarke beugte sich den Widerständen. Schon wenige Tage nach Veröffentlichung ersetzte das Unternehmen die Online-Fotos kommentarlos durch andere Sujets. Zu groß war die Anzahl der vor allem per e-Mail eingelangten Reaktionen, das ließ dann auch die aufs Image bedachte Geschäftsleitung nicht mehr kalt.
Screenshot 1 und 2 müssen jedenfalls als Hinweise auf die Realitäten der gegenwärtigen Medien- und Warenwelt betrachtet werden, die nur durch ein Verständnis der neuen und mehrdimensionalen Gefüge von Bezeichnen und Interpretieren zu erfassen sind. Vor allem haben die fundamentalen Veränderungen der digitalen Kommunikation eine, wie es der US-amerikanische Kulturkritiker Timothy Druckrey bereits vor mehr als einem Jahrzehnt in seinen kritischen Betrachtungen zu den neuen Informationsökonomien und zur Bewusstseins-Industrie formulierte, “intelligente Umgebung mit mehreren Schnittstellen” geschaffen, die “die Beziehungen zwischen Sprache, Gedächtnis, Körper, Ästhetik, Politik und Kommunikation neu definieren”. Die Auseinandersetzung mit Macht und Machtverhältnissen, sei es in Gestalt der politischen Ausübung von Regierungsherrschaft, als ökonomische Monopolstellung, oder aber auch als Ausdruck einer hegemonialen Deutungshoheit über historische Ereignisse und Entwicklungen, kann sich den Zeichen- und Ordnungssystemen des digitalen Zeitalters nicht verschließen. Wer also die Intervention sucht, um mit politischen Statements und aktivistischen Manövern gegen die Macht von Staat, Parteien, Wirtschaft und Medien anzutreten, ist gut beraten, dafür zeitgemäße Instrumentarien zur Anwendung zu bringen. Die Überlegung, den Bausatz eines hölzernes Pferdes aus dem Keller hervor zu holen, von Staub und Spinnweben zu befreien und damit auf stark frequentierten Plätzen der Stadt größtmögliches Aufsehen zu erregen, mag vielleicht so viele Jahre nach der Causa Waldheim nostalgische Erinnerungen an die Auflehnung gegen den Gedächtnisschwund eines ganzen Landes neu beleben – im Hinblick auf taktische Zielgenauigkeit greift sie allemal zu kurz. Die neuralgischen Zonen der politischen Öffentlichkeiten liegen heute in vernetzten Telekommunikationssystemen, die zwar eine noch nicht da gewesene technische Komplexität aufweisen, aber erst durch ihre Nutzung konkrete Form und Bedeutung erlangen. Die zunehmende Vermarktung der Netzstrukturen, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit in der Infosphäre sowie der Ausbau von Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen im Internet haben der Utopie einer digitalen Überwindung der herrschenden Verhältnisse schwere Niederlagen zugefügt. Dissens und gesellschaftlicher Widerstand stehen somit umso mehr vor der Herausforderung, durch eine kluge Implementierung des politischen Potentials der neuen Medien zu eigener Wirkungsmacht zu finden. Die folgenden zwei Projektbeispiele haben sich an diesem Ziel versucht.
Im Mai 2005 grasten in einer etwas entlegenen Ecke der Belvedere-Gärten in Wien zwei Handvoll Kühe. Das Projekt 25 Peaces, ein kulturelles Begleitprogramm zu den Jubiläumsfeierlichkeiten der rechtskonservativen Bundesregierung im Staatsvertrags-Gedenkjahr, schuf auf diese Weise einen kleinflächigen Erlebnispark zur Erinnerung an die sowjetische Besatzungsmacht, die in den Jahren von 1945 bis 1955 mit landwirtschaftlichen Maßnahmen in der Innenstadt die Versorgung der Bevölkerung sicher stellen wollte. Die nur für wenige Tage angelegte Aktion wäre weitgehend unbemerkt geblieben, hätte sich nicht die Nachricht wie ein mediales Lauffeuer verbreitet, dass eine der Kühe – und zwar jene des Namens “Rosa” – schon in der ersten Nacht gewaltsam entwendet worden war.
Das bislang völlig unbekannte Kommando Freiheit 45, eine militante Gruppe unter der zusätzlichen Kennung “Zellen Kämpfender Widerstand”, übernahm in geheimnisvollen Videobotschaften und Kommuniqués die Verantwortung dafür und – stellte Forderungen. Das Leben der Geisel sei in Gefahr, sollten sich ÖVP-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und ORF-Generalintendantin Monika Lindner weigern, am symbolträchtigen 15. Mai, der historischen Marke der Staatsvertragsunterzeichnung, in der Hauptnachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens eine Erklärung zu verlesen, die vor dem Millionenpublikum die “historische Lüge” und “nationale Verhetzung”, den fortan bloßgestellten Zweckbestimmungen des so genannten “Gedankenjahrs”, mit allem gebotenen Nachdruck eingesteht. Doch damit nicht genug: Österreich müsse zudem endlich der Bedeutung der Partisaninnen und Partisanen bei der Befreiung von der nationalsozialistischen Terrorherrschaft Rechnung tragen. Eine diesbezügliche Gedenkstätte sei dafür ebenso ein erster und längst überfälliger Schritt, wie auch die Zahlung von Anerkennungsgeldern in der Höhe von zehn Millionen Euro an die bis in die Gegenwart geschmähten Deserteure der ehemaligen Deutschen Wehrmacht.
Die Polit-Guerilleros legten die Entscheidung über Wohl und Wehe der Kuh “Rosa” unerschrocken in die Hand der staatlichen Autoritäten. Eine breite Anteilnahme ließ nicht lange auf sich warten. Dafür sorgten die wie ein Trommelfeuer angelegte Medienpräsenz sowie vor allem eine martialische Bild- und Textinszenierung, für die auch so mancher Tageszeitung Platz zur Veröffentlichung abgerungen werden konnte. Kurzum: Österreich zitterte mit dem Schicksal der politischen Gefangenen. Doch es kam, wie es kommen musste. Schon am Tag nach den Staatsvertragsfeiern wurden alle Hoffnungen enttäuscht. Die Bundesregierung verweigerte jede Stellungnahme sowie auch die geforderten Entschädigungsleistungen. 1,5 Kilogramm Plastiksprengstoff, so konnte man sich anhand eines zum Nachweis der rigorosen Entschlossenheit überbrachten Videoclips überzeugen, setzten der Kuh “Rosa”, für deren Unversehrtheit zuvor sogar eine namhafte Tierschutzorganisation den diskreten Kontakt zu den stets vermummten Widerstandszellen gesucht hatte, ein jähes Ende.
Die realen Hintergründe blieben nicht lange im Verborgenen. Schnell wurde klar, dass die eigentliche Urheberschaft in den Kommandozentralen der Wiener Medienkultur-Institution Public Netbase zu ermitteln ist. Hier war nach Wochen langer Vorbereitung ein virtuelles Drama geschaffen worden, das die offizielle Geschichtsdarstellung des nationalen Jubeljahres mit einer widerständigen Ikonografie konfrontierte. Der Kuh wurde kein Haar gekrümmt, im Gegenteil, sie hat niemals existiert. Einer der zentralen Ansatzpunkte des nunmehr als Fake enttarnten Medien- und Kommunikationsprojekts war es, gängige und weitgehend unreflektierte Bildwelten aufzubrechen und durch Dissonanz zu dekonstruieren. Die damit in Gang gesetzte Dynamik hielt selbst für die Projektverantwortlichen Überraschungen bereit. So nahmen etwa die Bekennerbriefe des “Kommando Freiheit 45” plötzlich eigenständig ihre Wege und vervielfältigten sich in Weblogs, TV-Berichten und Printmedien zu einer, wie es die Erläuterung zum Projekt-Archiv bezeichnet, “hermeneutischen Polyphonie” von Sympathiebekundungen, Nachahmung und Gegnerschaft. Davon erhalten geblieben ist eine umfangreiche Dokumentation, die den Bestand des “virtuellen Straßentheaters” nachhaltig gewährleistet – und damit auch eine öffentlich verfügbare Erinnerung an ein urbanes “Entführungsdrama mit der subversiven Energie des Absurden als Gegeninszenierung öffentlichen Widerspruchs”.
Die Plattform Public Netbase ist bis zu ihrer – von der Wiener Kulturpolitik durch Finanzierungsentzug erzwungenen – Schließung im Jahr 2006 immer wieder mit Projekten und Unternehmungen in Erscheinung getreten, die irritierende und mitunter verstörende Interventionen in Kommunikationsprozessen zum Inhalt hatten. Doch diese international viel beachtete Praxis in Kunst und Medien beschränkte sich keineswegs auf den städtischen Raum als Austragungsort gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen. Als etwa das Unterrichtsministerium unter ÖVP-Führung Anfang 2005 ein Österreich-Quiz im Internet präsentierte, das in erster Linie darauf abzielte, Schülerinnen und Schülern auf spielerische Weise historische Ereignisse und die politischen Zusammenhänge zu vermitteln, durfte die offizielle Regierungslinie, Österreichs soziale und kulturelle Entwicklung nach 1945 als Erfolgsgeschichte der rot-weiß-roten Eintracht darzustellen, nicht unwidersprochen bleiben. Schon kurz darauf hielt ein unabhängiges Österreich-Quiz dagegen, das bereits im Titel das Konfliktpotential einer konfrontativen Auseinandersetzung mit Identitätspolitiken und einer Erinnerungskultur unter nationalistischen Vorzeichen zum Ausdruck brachte. “Patriotismus oder Vaterlandsverrat. Wo stehen Sie in Österreich?” setzte auf die enge und schon oft erfolgreich erprobte Verbindung des spielerischen Charakters solcher Tools mit sachlicher Information, die zuvor im Kreise politik- und geschichtswissenschaftlicher Expertinnen und Experten redaktionell aufbereitet worden war. Dabei standen insbesondere Themen und Diskurse im Vordergrund, die im von zahlreichen staatlichen Institutionen und Bildungseinrichtungen getragenen “Gedankenjahr” nicht zur Sprache kommen sollten. Im folgenden eine Auswahl aus den insgesamt 22 Fragen:
“1995 wurden in Oberwart vier Roma Opfer eines rassistischen Mordanschlags: Wie wichtig ist es, im Rahmen des Jubiläumsjahres 2005 daran zu erinnern?”, “Mitglieder der österreichischen Bundesregierung singen und spielen in volkstümlichen Kostümen gerne das Lied ‘Hoch auf dem Gelben Wagen’. Wie sehr können Sie sich mit Brauchtumspflege und Neo-Folklorismus identifizieren?”, “Während Engelbert Dollfuß (Bundeskanzler 1932-1934) von vielen als patriotischer Märtyrer gefeiert wird, sehen andere in ihm einen Feind der Demokratie, der mit der Ausschaltung des Parlaments eine faschistische Diktatur errichtet hat. Soll sein Andenken in Ehren gehalten werden?”, “Das Bild der ‘Vier im Jeep’ ist in allen Schulbüchern zu sehen: Wie wichtig ist der Anteil von Partisaninnen und Partisanen an der Befreiung Österreichs?”, “1950 wurde Bertolt Brecht in Österreich eingebürgert. Als ‘Schmutz- und Schund-Autor’ stieß er auf große Ablehnung und auf einen breiten Boykott der Medien und Theater. Halten Sie das für gerechtfertigt?”, “Das öffentlich-rechtliche Fernsehen rückt immer weiter von seinem auf Vielfalt und Weltoffenheit bedachten Kultur- und Bildungsauftrag ab. Sind Sie der Meinung, dass der ORF noch stärker zur Verbreitung von Alpenromantik und Heimatgefühl beitragen soll?” sowie auch “In Österreich leben immer mehr alte und immer weniger junge Menschen. Halten Sie es für eine nationale Verpflichtung, Kinder zu bekommen?”
Das ominöse Jahr 2005 war eines Tages zu Ende, während das alternative Österreich-Quiz über die Abschlussveranstaltungen hinaus noch weiter zur Verfügung steht. Damit weist auch das Ergebnis noch immer die jeweilige Zuordnung auf eine typologischen Skala aus, der wiederum spezifische Eigenschaften und Verhaltensmuster zugewiesen werden: Vaterlandsverräter (sagt zur Marmelade Konfitüre; versteigert Staatsbürgerschaft gegen billiges Geld bei eBay; …), Nestbeschmutzer (hat die Redaktion der New York Times im Handy eingespeichert; lernt für den Südtirolurlaub Italienisch; …), Vernaderer (zahlt seit Februar 2000 keine Rundfunkgebühr mehr; bevorzugt Party statt Kinder; …), Fern der Heimat (fährt in die französischen Alpen zum Skifahren; zieht Running Sushi dem Martinigansl vor; …), Lodenfreak (rechnet alles noch in Schilling; lädt sich am Sonntag den Gottesdienst aufs UMTS-Handy; …), Musikantenstadl (fährt mit dem Traktor zum Blockflötenkonzert; Bausparvertrag unterm Kopfpolster; …), Austrokoffer (Schnitzelhaus statt McDonalds; wartet vergeblich im ORF Programm auf die Bundeshymne zu Sendeschluss; …) und schließlich der Hurra-Patriot (sagt zu Slowenien Untersteiermark; trägt rot-weiß-rote Unterwäsche und sieht im Schützenverein den Ausweg aus der Bildungsmisere; …).
“Leg’ dein Ohr auf die Schienen der Geschichte”, appellierte die für ihre politischen Songtexte bekannte HipHop-Formation Freundeskreis zu Beginn der 1990er Jahre, um auch bei den jugendlichen Zielgruppen das Interesse an historischen Verläufen und Kontexten zu wecken, die sich tief in die unmittelbare Alltagswelt mit ihren globalen Ausmaßen eingeschrieben haben. Auch heute noch werden die gesellschaftlichen Strukturen gerade von den Heranwachsenden als Ausdruck einer erdrückenden Obrigkeit empfunden. Doch wo lassen sich für Zorn, Kritik und Widerspruch Artikulationskanäle finden? Wie können zeitgemäße Räume für die notwendigen Debatten zu Geschichte und Gegenwart erschlossen werden?
Die Transportwege der Informationen bestehen nicht mehr aus hochwertigem Stahl, der die Infrastruktur-Metaphorik der Moderne über viele Generationen prägte, sondern materialisieren sich in mittlerweile unüberschaubaren Geflechten von Glasfaserkabeln und Netzknoten, die Übertragungen in einer bislang nicht gekannten Geschwindigkeit ermöglichen. Doch geht mit den technischen Errungenschaften alleine noch keine Demokratisierung oder gar die Eindämmung von Diskriminierung und Machtmissbrauch einher. Diese Skepsis führt die autonome a.f.r.i.k.a-Gruppe ganz grundsätzlich auch zu der Frage, “inwieweit das Netz ein Ort gesellschaftlichen Widerstands sein kann”. Die auf die politische Aktionsform der Kommunikationsguerilla spezialisierten Aktivistinnen und Aktivisten verweisen vielmehr auf die Bedeutung von “Stoßrichtung und Motivation”. Demzufolge ist entscheidend, dass “Wissen und Information erst dann etwas bewirken können, wenn die Informierten eine Möglichkeit sehen, ihr Wissen in konkretes soziales und politisches Handeln umzusetzen. Wer über Informationen verfügt, hat noch lange keine effektive Macht”. Die notwendigen Schlussfolgerungen im Hinblick auf gesellschaftliche Veränderungen erklärt auch der niederländischen Netztheoretiker Geert Lovink in seiner mannigfaltigen publizistischen Spurensuche nach einer kritischen Internetkultur zu einem strategischen Postulat: “Wir brauchen eine kritische Netzwerkpsychologie, die nicht in Form brillanter Beobachtungen akademischer Außenseiter existiert, sondern als schnelles und pro-aktives Wissen, welches in Gruppen, kleine Organisationen, Listen und Technostämme implementiert werden kann.” Ziel kann es daher nicht sein, “Konflikte zu verhindern, in denen es um nichts geht”, sondern – im Gegenteil – die Inszenierung wirklicher Kämpfe, “wenn etwas auf dem Spiel steht”. Für die Medien selbst stellt Lovink daher klar: “Das Spektakel hat in jeden erdenklichen Bereich Einzug gehalten, und seine weitreichende Macht hat es unmöglich gemacht, sich eine Geste, eine Kommunikationsform oder ein Handeln vorzustellen, die nicht übertragen, digitalisiert oder archiviert sind. Alle Formen von Protest und Politik stehen unter seinem Bann.”
Wozu dann noch eine mit politischer Leidenschaft geführte Diskussion um Geschichte, historische Verantwortung und die davon abgeleiteten Schlussfolgerungen für Zukunft und Gegenwart? Steht etwas auf dem Spiel, was nicht dem Spektakel geopfert werden darf? Es deutet einiges darauf hin, dass die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Betrachtung der Vergangenheit in zunehmendem Maße der Trivialisierung und Popularisierung von Bildungs- und Wissensinhalten weichen muss. Nicht anders ist zu erklären, dass selbst eine Ausschreibung des österreichischen Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur zu Beginn des Jahres 2008 dazu aufrief, im Rahmen der EU-Förderungsmaßnahme “Aktive europäische Erinnerung” Projekte einzureichen, die sich der “Wahrung des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus und des Stalinismus” verpflichten wollen. Dabei galt das spezielle Augenmerk Beiträgen “zur Erhaltung der Stätten und Mahnmale, die mit Massendeportationen und Massenvernichtungen unter nationalsozialistischer und stalinistischer Herrschaft in Verbindung stehen”. Eine derartige Nivellierung der Opfer der ungleichen Unrechtsregime wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen und hätte lautstarke Proteste nach sich gezogen. Es ist durchaus möglich, dass sich hier nun auch an den Schaltzentralen der Bildungspolitik frühe Vorboten eines fatalen Paradigmenwandels zu erkennen gaben, die wenige Monate später im deutschen Bundesland Bayern die Gemüter des kritischen Kultur- und Geisteslebens stark erregten. Hier wurde das Kapitel “Nationalsozialismus” im Geschichtsunterricht der Oberstufengymnasien regelrecht entrümpelt, womit es im Lehrplan fortan eine im Stundenumfang geringere Rolle einnimmt als die Vermittlung der Inhalte “Leben in der Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts”, “Trinkwasserversorgung und Kanalisation” und “Die Raiffeisenbewegung”.
“Es bleibt zu hoffen”, schreibt Wulf Kansteiner, Professor für Neueste Deutsche Geschichte, Mediengeschichte und Geschichtstheorie, unter besonderer Berücksichtigung der Abbildung und Vermittlung geschichtlicher Inhalte in den Medien, “dass der Abstieg des Fernsehens nicht das Ende der Geschichtsreflexion bedeutet und dass sich zukünftige Generationen weiterhin intensiv und kritisch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit beschäftigen werden, auch wenn dieser Prozess nicht im Fernsehen, sondern in den interaktiven digitalen Medien der Zukunft stattfinden wird”. Somit ist zunächst der lange Atem angesagt, denn der digitale Vaterlandsverrat genießt nicht den Ruf eines Everybody’s Darling. Die öffentliche Meinung manifestiert sich vielfach in politischer Repression, medialer Schelte und Maßregelungen durch die Behörden. Doch die Konfliktanordnung kennt keine Alternativen. Solange Ewiggestrige hohe Positionen der Republik einnehmen, mit rechtsextremem Gedankengut die parlamentarische Demokratie aushöhlen und immer unverschämter nach Diskurshoheiten greifen, sodass – wie im Falle von Ebensee im Mai 2009 – neuerdings auch das mahnende Gedenken der NS-Opfer zum Aggressionsziel von Neonazis wird, solange erfordern diese Realitäten künstlerischen Ungehorsam, Interventionen und aktivistische Bildstörungen als einen zwingend gebotenen Widerspruch.