Nicolas Sarkozy, neogaullistischer Populist und zur Zeit wohl Frankreichs machthungrigster Politaufsteiger, glaubte bereits 1985 zu triumphieren. “Das Leben eines Linken ist schwierig”, notierte er mit Genugtuung in einem Zeitschriftenkommentar. “Nicht mehr nur die Rechte, unsere gesamte Wirklichkeit ist mittlerweile reaktionär”. Doch knapp zwanzig Jahre später überlässt auch er nichts dem Zufall. Schon im Jahr 2007 will er nach dem höchsten Amt im Staate greifen und Präsident Jacques Chirac beerben. Der Showdown ist somit eröffnet, die Inszenierung bereits bis ins letzte Detail geplant. Eine entscheidende Marke bilden 2004 die Feierlichkeiten anlässlich des zweihundertsten Jahrestags der Krönung Napoleons zum Kaiser Frankreichs. Sarkozy vereint Herrschaftsinstinkt mit der Herrschaftsgeschichte seines Landes und setzt auf ein monatelanges Nationalspektakel. Nichts deutet vorerst darauf hin, dass sich das Ziel des neuen starken Mannes nicht erreichen ließe. Der Weg an die Spitze ist schon jetzt, drei Jahre vor dem Urnengang, ein millionenschweres Medienereignis.
Bonapartismus, mediale Macht und Selbstherrlichkeit kennzeichnen rechts-konservative Regierungen in ganz Europa. Österreich bildet hier keine Ausnahme. Im fünften Jahr der schwarz-blauen Umbauarbeiten an der politischen Kultur ist die Republik fest im Würgegriff der ÖVP. Alleine das Jahr 2004 ist dafür Zeugnis genug. Die aktuelle Zerschlagung der ÖH, der Versuch, die politische Selbstbestimmung einzuschränken und Studierende mundtot zu machen, bilden die Spitze eines Eisbergs. Auch die Budgetpolitik des Schüssel-Grasser-Kurses zielt ausschließlich darauf ab, von einer sozial gerechten Abgabenpolitik abzukehren und restaurative Lenkungsmaßnahmen zu ergreifen. Vom Fiskalvollzug nachteilig betroffen sind vor allem Frauen, der Bildungssektor sowie die Versorgung mit öffentlichen Leistungen ganz allgemein. Sie alle werden mit schweren Verlusten zu rechnen haben. Dem gegenüber steigt das Aufkommen folkloristischer Darbietungen von Regierungsmitgliedern, die sich vergnügt in Weingärten tummeln und beim volksnahen Wintersport die Schnapsgläser erheben. Dagegen eher unbemerkt vergrößert sich die Reichweite der konservativ-katholischen Kulturalisierung in den Kanälen der gesellschaftlichen Bewusstseinsbildung. “Radio Maria” hat zu Beginn des Jahres in Niederösterreich eine weitere Rundfunklizenz erhalten, eine wenig verwunderliche Entscheidung der KommAustria, die seit 1. Jänner 2004 dem Bundeskanzleramt direkt weisungsgebunden ist. Der persönliche Einsatz von Nationalratspräsident Andreas Khol hat sich jedenfalls gelohnt. Gottesdienste und Rosenkranzgebete gegen Masturbation und moralisches Fehlverhalten finden seitdem noch breiteres Gehör in den heimeligen Stuben des weiten Landes.
Es macht sich mitunter bezahlt, in die Ideologie-Schmieden der ÖVP Einschau zu halten. Die Lektüre der verschiedenen Kampfschriften hat es allemal in sich. Vor allem die Österreichischen Monatshefte legen die Innenansichten der Bundesparteizentrale durchaus offen dar. “Die Volkspartei”, schreibt Günter Burkert-Dottolo, der Leiter der Politischen Akademie, im Februar 2004, “ist als Bürgermeister- und Europapartei in besonderem Maße prädestiniert, Heimatpartei zu sein. Der als Bedrohung und Entwurzelung erlebten Globalisierung kann nur mit Regionalisierung und Heimatorientierung geantwortet werden. Die Betonung regionaler Identitäten, Subsidiarität und Entschleunigung sind richtige Strategien.”
Der Strategieverweis blieb in der ÖVP nicht ohne Wirkung. Auch der Zeitpunkt war überlegt gewählt, denn Österreich gedachte soeben der Ereignisse am 12. Februar 1934. Somit stand eigentlich die gewaltvolle Zerschlagung von Demokratie und Republik vor siebzig Jahren zur Diskussion. Doch Andreas Khol empfing dazu persönlich Gottfried Karl Kindermann im Nationalrat, wo der weithin bekannte Revisionist in den Festsälen über die angebliche Schwindsucht des Parlamentarismus referierte. Kurz darauf tat auch der damalige VP-Landeshauptmann Salzburgs seine Überzeugung kund, dass im Zweifel jeder Patriotismus deutlich mehr wiege als ein Festhalten an den Prinzipien der liberalen Demokratie (profil, 2. Februar 2004). Der miefige Nebel einer national-chauvinistischen Erinnerungskultur legte sich daraufhin wochenlang über Politik, Medien und Gesellschaft. Das Bild des Diktators Engelbert Dollfuß erfuhr eine neuerliche Aufwertung in den Klubräumen der ÖVP. Nach einer tiefgründigen Debatte über den Austrofaschismus und seine Kontinuitäten bis in die Gegenwart sucht man bis heute vergeblich.
“Patriotismus”, so Burkert-Dottolo, “ist keine Haltung, die verordnet werden könnte, sie ist ein Gefühl dankbarer Zugehörigkeit.” Doch wie lassen sich Dankbarkeit und Zugehörigkeit geeignet inszenieren? Die ÖVP hat ihre Antwort darauf gefunden. Es kann kein Zufall gewesen sein, dass ebenfalls noch im Februar die ersten Programmpläne und Zielsetzungen für ein “Jubiläumsjahr 2005” an die Öffentlichkeit getragen wurden. Ein Veranstaltungsreigen enormen Ausmaßes soll die vergangen Jahrzehnte und Ecksteine der österreichischen Geschichte Revue passieren lassen. Die Ikonographie tut dabei ihr übriges. Leopold Figl, Julius Raab, Alois Mock und der Stephansdom bilden den Rahmen, in dem nun auch Wolfgang Schüssel glänzen soll. In einer Heimat der großen Söhne. Einblendungen und Ausblendungen, Geschichtsmythen und historische Desinformation, bilden das Fundament eine Machtinszenierung, die der Kanzler-Partei endgültig Hegemonie und Deutungshoheit sichern soll. Die ÖVP kann mit ihrem Heimatdienst aber auch ganz pragmatisch auf nachhaltige Effekte hoffen. Dafür sorgen dann schon, wie Günter Traxler im Standard spitz bemerkte (12. November 2004), “jede Menge Wahlkampfauftritte auf Regimentsunkosten”, während zugleich “im Nebel eines aufgeheizten Event-Patriotismus die Bürger die Folgen der Regierungspolitik aus den Augen verlieren” werden.
Es wird jedenfalls mächtig donnern und krachen. Wolfgang Lorenz, ehemals Intendant der Kulturhauptstadt Graz 2003 und ein offenbar von allen begehrter Spektakel-Söldner, macht 2005 zu einem Dolby Surround-Ereignis der Nationalgeschichte im öffentlichen Raum. Einen Höhepunkt bildet am 12. März das virtuelle Nachstellen eines Angriffs alliierter Bomber auf Wien an diesem Tag vor 60 Jahren. Einzelne Gebäude, die – wie unter anderem das Opernhaus am Ring – damals getroffen und schwer beschädigt wurden, werden in grellrotes Licht getaucht. Fadenkreuze, Sirenen und Detonationen sorgen für Furcht und Schrecken, diesmal allerdings in einem gemeinschaftlich erlebbaren Pop-Event mit geringer historischer Präzision. Bombenterror, Besatzungszeit und die Not der Wiederaufbaujahre – das ist der Code, der hier in die Erinnerung der Menschen geschrieben werden soll. Der militärische Sieg über das verbrecherische NS-Regime, die ungebroche Kontinuität der Nazis in Ämtern, Medien und Politik der Nachkriegszeit sowie die im neuen Österreich nicht gewollte Heimholung und Entschädigung der vielen Opfer sind – um hier nur einige wenige verdrängte Aspekte anzuführen – mit dem Lorenz’schen Trommelfeuer offenkundig nicht gemeint.
Was wird das Multimedia-Spektakel letztlich kosten? Noch herrscht diesbezüglich Unklarheit. Ein Low-Budget-Vorhaben kommt für die schwarze Regierungsmehrheit allerdings nicht in Frage. Der Machterhalt ist auch keineswegs für wenig Geld zu haben. Dementsprechend geht der Bundeskanzler auf Nummer sicher. Noch verweist Schüssel unermüdlich auf das generöse Engagement privater Unternehmen und deren Sponsorleistung in Millionenhöhe für Großveranstaltungen im – wie er es nennt – “Gedankenjahr 2005”. Tatsächlich hat sich McDonalds schon bereit erklärt, “McCare”-Pakete als Informations-Hamburger zu den US-Lebensmittellieferungen an Jugendliche auszugeben. Doch recht viel mehr ist nicht zu erwarten. Nicht ohne Grund musste daher Finanzminister Grasser in der Beantwortung einer Dringlichen Anfrage am 9. November 2004 dem Parlament die Auskunft geben, dass für das Jubiläumsjahr 2005 zusätzliche Mittel in der Höhe von 23,6 Millionen Euro zur Verfügung stehen.
Europas Rechte ist weiter auf dem Vormarsch. Während Sozialdemokratie und Mitte-Links-Gruppierungen zwischen Erfolgs- und Orientierungslosigkeit taumeln, haben Wolfgang Schüssel, Nicolas Sarkozy und auch Silvio Berlusconi längst am äußerst rechten Rand Position eingenommen und erweitern ihre Macht. Vor diesem Hintergrund springt selbst Burkert-Dottolo, innerhalb der ÖVP noch vor kurzem dem liberal-konservativen Flügel zuzuordnen, weit über seinen Schatten und schließt in seinen Ausführungen mit Michel Houellebecq, der als literarischer Seismograph die rassistisch-reaktionäre Wirklichkeit, von der sich ein Nicolas Sarkozy getragen fühlt, durchaus ertragreich exkulpiert. So ist nun auch in den Österreichischen Monatsheften zum Charme des Konservativseins zu lesen: “Weil sich das menschliche Leben in einer biologischen, technischen und emotionalen Umwelt abspielt und nur nebenbei politisch geprägt ist und weil der Mensch vor allem private Zwecke verfolgt, entwickelt er gegen politische Überzeugungen eine instinktive Abneigung. Revoluzzer und andere Störenfriede ziehen seine Verachtung auf sich, weil sie von nichts als Dummheit, Eitelkeit und Gewaltlust angetrieben werden.” Für die Grundsatzabteilung der ÖVP ist vor allem eine Textpassage mehr als relevant: “Im Gegensatz dazu wird der Konservative niemals Helden oder Märtyrer haben. Zwar rettet er niemanden, aber er hat auch keine Opfer auf dem Gewissen. Er besitzt nichts Heroisches. Aber dafür hat er den Charme, ein ziemlich ungefährliches Wesen zu sein.”
Das mag die ÖVP uns gerne glauben machen. Dafür ist ihr auch im Hinblick auf das bevorstehende Jubiläumsjahr 2005 keine Beweisführung zu schlecht. Dass kritische Stimmen zunehmend kriminalisiert und verunglimpft werden, Öffentlichkeiten ihrer strukturellen Grundlagen beraubt, gehört schon allmählich zum Routinegeschäft der ÖVP. Die demokratische Kultur wie auch das Wissen um historische Zusammenhänge werden im Laufe des “Annus horribilis 2005”, wie Günter Traxler das Hegemonial-Spektakel pointierte, noch weiter verelenden. Die Schüssel-Partei bleibt aber vorerst unbeirrt. Auf die Frage, ob angesichts dieser Entwicklung ein Erstarken rechtsextremer Kräfte, wie zuletzt in Deutschland, in Österreich ausgeschlossen werden kann, holte Kultusministerin Elisabeth Gehrer in ihrer Antwort von ganz weit oben aus (Neues Volksblatt, 22. November 2004): “Ausgeschlossen ist nichts auf der Welt, aber ich merke davon derzeit nichts. Gott sei Dank.”