Im Würgegriff

Kulturpolitik: Im Bund repräsentativer Kulturalismus, in Wien Stillstand, die Opposition zahnlos.

“Ein Feuerwerk der Maßnahmen für Wien” versprach Bürgermeister Häupl Ende Februar am Rande der SP-Klubtagung in Rust. Wir hoffen, dass sich dahinter nicht ein Flächenbrand der Ideenlosigkeit verbirgt – oder ein Hornberger Schießen. Pyrotechnik ist eine hohe Kunst, ohne Vorbereitung und Planungen muss sie misslingen. Im 100 Punkte-Programm der Stadtregierung wird zum Beispiel der unter Punkt 89 geplante “Weltkongress des Wissens” bestenfalls zum feuchten Knallfrosch, wenn man sich die unsichere  Zukunft des Depots vor Augen führt, dessen Funktion als Raum für Theorie und Diskurs im Kontext zeitgenössischer Kunst von keiner anderen Institution in Wien erfüllt wird.

Seit Bundeskanzler Schüssel ist vor allem auch Wien einer rechtskonservativen Gesellschaftspolitik ausgesetzt. Mit einer klaren Mehrheit in der Stadt hat die SPÖ seit April 2001 Zeit gehabt, ihre Zielformulierungen eines Gegenmodells umzusetzen. Doch zwei Jahre später machen sich Stillstand und Stagnation breit, die einstmalige Hoffnung auf Zukunftsperspektiven droht der Resignation zu weichen. Das Ausbleiben jeglicher Opposition schürt die Zweifel an ihrer Legitimation, was letztlich zu einem Totalversagen der Politik führt.

Nach der Wahl in Wien wurden als Signal für eine zeitgemäß urbane Kulturentwicklung Leitprojekte in partnerschaftlicher Verantwortung von SPÖ und Grünen vorgestellt. Diese weckten berechtigte Hoffnung auf Investitionen in die Zukunft, auf ein offenes kulturelles Klima, das aktuelle Entwicklungen aufgreift. Die Vereinnahmung anhand von “gemeinsamen” Projekten in Quasiregierungsverantwortung hat der kleinsten Oppositionspartei im Rathaus die Milchzähne gezogen.

Zu den Gemeinschaftsprojekten zählten z.B. das “ArtScience Vienna”, ein “Offenes Technologie-, Medien-, Bildungs- und Kulturzentrum” sowie die “Förderung der freien Medien – Radio, TV und Internet”, insbesondere die “Schaffung eines freien Fernsehkanals”. Für letzteres war immerhin eine “Umsetzung bis spätestens 2002” (!) vorgesehen. Das seit Jahren geplante ArtScience Vienna als Plattform für Forschung und Entwicklung an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst scheint nach unzähligen Debatten mit Motorschaden auf der Strecke geblieben zu sein. Mehrere Anläufe und Beratung durch internationale Experten konnten nicht verhindern, dass das Projekt aufgrund mangelnder Macherqualitäten zu scheitern droht. Auch das in St. Marx projektierte offene Kulturzentrum mit einer Verknüpfung von Bildung, Technologie und Medien entpuppte sich als Hirngespinst. Während in anderen Metropolen Offene Fernsehkanäle bereits 20-Jahre-Jubiläen feiern, ist Wien 2003 – ein Jahr nach dem vorgesehenen Umsetzungstermin – genauso weit davon entfernt wie je zuvor. Das Freie Radio und die Entwicklung der Netzkultur warten ebenfalls auf die Realisierung der 23 rot-grünen Vereinbarungen.

Solange sich die rot-grünen Pläne als Rohrkrepierer entpuppen, verwundert es nicht, dass oppositioneller Widerspruch auch dann ausbleibt, wenn kulturpolitische Fehlentwicklungen, wie aktuell das quartier21 sowie die kuriose Zustimmung zur Vertragsverlängerung des MQ-Direktors, sich immer deutlicher abzeichnen. Das wenige, was bisher über den Kunstplatz Karlsplatz bekannt geworden ist, ist ein als Leitsystem getarnter Schilderwald, der Besucher der Secession darüber informieren soll, dass “Wien auch über ein Historisches Museum verfügt”.

Während die ÖVP sich ihrer Bürgernähe rühmt und die Grünen ihre Nähe zur Basis beteuern, hat sich schon längst eine unabhängige Bürgerinitiative für den Karlsplatz zu Wort gemeldet. Diese weiß ihre naiven und undifferenzierten Anliegen (für einen Platz der “Offenen Kulturen!”) auch ohne die Oppositionspolitiker zu vertreten. Während der Kulturstadtrat in Interviews davon spricht, im Hinblick auf Schwarz-blau das “Fähnchen der Kultur hochzuhalten”, ist ihm ausgerechnet eine Laiengruppe zuvorgekommen.

Einer fortschrittlichen urbanen Kulturpolitik darf abverlangt werden, dass sie die Probleme und Chancen des Karlsplatzes nicht auf eine Raumverteilungsfrage zwischen Künstlerhaus, Historischem Museum und Kunsthalle reduziert, sondern ein sinnvolles Gesamtkonzept entwickelt, das verkehrs-, gesellschafts- und kulturpolitische Fragen berücksichtigt. Die Opposition hatte bisher leider nichts zu der Debatte beizutragen, um zu verhindern, dass aus dem Karlsplatz ein weiterer “Museumsplatz” entsteht. Von einer schüsseltreuen Wiener ÖVP ist im Hinblick auf ein Wiener Gegenmodell sowieso nichts zu erwarten. Peter Marboe betonte noch vor kurzem im Kreise von Vorarlberger Burschenschaften, “Franz Morak habe nachweislich kulturpolitische Erfolge erzielt.” Damit stellt er sich auch klar gegen die Interessen seiner Stadt, weil die strukturelle Repression des Kunststaatssekretärs insbesondere den finanziellen Handlungsspielraum Wiens einschränkt.

Noch selten traf ein kulturpolitischer Ressortverantwortlicher auf Voraussetzungen, die es ihm so nahe legten, dringend notwendige Weichenstellungen in Angriff zu nehmen und sich gegen die Restauration eines repräsentativen Kulturalismus zu wehren. Und obwohl das Wiener Kulturbudget angeblich höher sei denn je, nimmt sich die Entschlossenheit zur politischen Gestaltung eher bescheiden aus. Da Wien weit davon entfernt ist, ein “Asyl für kritische Kulturschaffende” verwirklicht zu haben, bleibt uns nur die Zuversicht, dass sich auch zu diesem Zwecke eine Bürgerinitiative bildet.