“Ich weiß, wer ich bin”

Österreichs Spitzenfußballerin Sarah Puntigam im Interview

Sarah Puntigam kam im März auf ihren 100. Einsatz im Nationalteam, ihren Profialltag verbringt sie beim HSC Montpellier in Frankreich. Im Interview spricht sie über amerikanische Vorbilder, französische Begrüßungen und das Ziel einer neuerlichen EM-Teilnahme.

Die Frauen des HSC Montpellier trainieren auf einem Sportplatz außerhalb des Zentrums Richtung Flughafen. Nahe genug, dass sich zwischen zwei Trainingseinheiten die Fahrt in die Innenstadt lohnt. Der ballesterer trifft Sarah Puntigam in einem der vielen Cafés von Montpellier. Im Süden Frankreichs ist auch Mitte Februar mediterrane Atmosphäre spürbar. Seit 2018 spielt Puntigam für den Verein, der 2004 und 2005 Meister wurde und sich in der französischen Liga als dritte Kraft hinter Olympique Lyonnais und Paris Saint-Germain etablieren möchte.

ballesterer: Montpellier ist als Zentrum der zeitgenössischen Kunst bekannt. Was wäre denn auf einem Bild von Sarah Puntigam zu sehen?

Sarah Puntigam: Sicherlich ein Fußball, weil er einen sehr großen Stellenwert in meinem Leben hat. Und meine Familie und Freunde, die wären auch am Bild.

Sie leben seit fast zwei Jahren in Frankreich. Wie nehmen Sie die Eigenheiten des Landes wahr? Und sind die aktuellen gesellschaftlichen Konflikte für Sie ein Thema?

Wir kriegen im Verein wenig davon mit. Uns hat es nur vor Weihnachten während des Bahnstreiks auf zwei Auswärtsfahrten betroffen. Da sind wir dann etwa zehn Stunden mit dem Bus nach Paris gefahren. Ansonsten lese ich darüber, und wenn man bei den Franzosen nachfragt, dann sagen sie dir: „Ja, wir sind verrückt, wir wissen selber nicht so genau, warum wir streiken.“ Und die Eigenheiten? Mir fallen immer noch die Küsschen zur Begrüßung und Verabschiedung auf – und auch ein Abendessen kann mitunter Stunden dauern, hier sind alle eher gemütlich. Zu Verabredungen kommen wir fünf bis zehn Minuten früher als die Franzosen.

Der Frauenfußball genießt ein deutlich höheres Ansehen als in Österreich. Wie erklären Sie sich das?

Es gibt hier vom Kinderbereich aufwärts gute Strukturen. Und das schon seit Langem. Wichtig ist aber auch, dass das Nationalteam und die Vereine sehr erfolgreich sind. In Österreich müssen wir in den kommenden Jahren Gas geben, die Vereine und der Verband. Aber auch wir Spielerinnen sind gefragt. Wir müssen noch mehr Mädels zum Fußballspielen bringen, wir müssen Vorbilder sein. Die Vereine müssen deutlich mehr investieren. Wir haben ja mit Sankt Pölten eigentlich nur einen Klub, der die Spielerinnen anständig bezahlt.

Die Weltmeisterinnen aus den USA um Megan Rapinoe haben ihren Verband wegen Diskriminierung verklagt, sie fordern dasselbe Gehalt wie die Männer. Inwiefern könnte das auch für die österreichischen Spielerinnen ein Vorbild sein?

Im Detail weiß ich dazu nicht allzu viel. In Österreich ist das aktuell kein Thema. Aber man kann sich die amerikanische Mentalität zum Vorbild nehmen, nicht nur im Fußball, sondern ganz allgemein. Damit meine ich das Selbstbewusstsein und den Willen, etwas zu erreichen. Man sollte bereit sein, für gewisse Dinge zu kämpfen. Und darüber zu reden.

Vor Ihrem Engagement in Frankreich haben Sie bereits im Ausland für Bayern und Freiburg gespielt. Wie war es im Vergleich dazu, nach Montpellier zu kommen?

Ich war sehr aufgeregt, denn in Deutschland und in dem Teil der Schweiz, in dem ich gespielt habe, wird Deutsch gesprochen. Als ich hergekommen bin, habe ich niemanden gekannt. Das war sehr herausfordernd, und ich bin in dieser Zeit auch als Mensch gewachsen. Vor allem bin ich aber sehr gut aufgenommen worden. Mir gefällt es, darum kann ich mir vorstellen, hier auch länger zu bleiben.

Sie haben mit Montpellier zuletzt auswärts in Reims 7:1 gewonnen. Der Klub liegt stabil im oberen Tabellendrittel. Wie groß ist Ihr Anteil daran?

Bei den meisten Spielen habe ich von Anfang an gespielt, daher denke ich schon, dass ich einen hohen Stellenwert habe. Aber für uns als Team ist der vierte Platz, auf dem wir derzeit stehen, noch nicht zufriedenstellend. Wir wollen Dritte werden.

Olympique Lyonnais dominiert die Liga seit Jahren. Wie ist diese Vormachtstellung zu erklären?

Ich würde sogar sagen, sie sind die beste Vereinsmannschaft der Welt. Jean-Michel Aulas, der Präsident von Lyon, hat eine sehr hohe Wertschätzung für den Frauenfußball, und dementsprechend investiert er auch. Bei OL gibt es optimale Bedingungen. Wer dorthin wechseln kann, macht es ganz einfach.

Die Wurzeln des HSC Montpellier liegen in der Banlieue La Paillade. Spielt das soziale Umfeld für den Klub eine Rolle?

Der Verein ist sehr familiär, jeder kennt jeden. La Paillade ist für uns durchaus präsent, vor allem wenn wir in der Kabine einen Sieg feiern und dann lauthals singen: „Ici, c’est la Paillade“, also „Hier ist la Paillade.“ Deshalb weiß ich überhaupt darüber Bescheid.

Im Dezember haben Sie ein Foto von sich und Ihrer Lebensgefährtin bei Instagram gepostet. Wie gehen Sie mit dem medialen Rummel um, den Ihr Coming-out in Österreich ausgelöst hat?

Vor ein paar Jahren hätte ich das noch nicht gemacht. Aber heute weiß ich, wer ich bin, ich weiß, was ich will. Ich habe sehr viel positives Feedback bekommen. Wenn ich auch nur ein paar Menschen damit helfen konnte, den Mut zu haben, sich zu outen, dann war es schon sehr erfolgreich. Als Fußballerinnen werden wir nun einmal wahrgenommen und können Dinge zur Sprache bringen. Auf der anderen Seite finde ich es auch schade, dass das Thema eine derart große Aufmerksamkeit bekommen hat. Es sollte keine Rolle spielen, wen man liebt.

Wie gehen Sie ansonsten mit Instagram und anderen sozialen Medien um? Was geben Sie dort von sich preis – und was nicht?

Meine Postings beschränken sich eigentlich auf Fußball. Daher kennen mich die Leute, das ist mein Beruf, das ist mein Leben. Ich gebe aber schon auch manchmal private Einblicke: meine Freunde, meine Familie, oder was ich so unternehme. Ich bin aber niemand, die das Handy ständig bei sich hat, filmt und Fotos macht. Deshalb sehe ich auch keine Gefahr, dass ich zu viel von mir preisgebe oder mir im Nachhinein denke, das hätte ich jetzt besser nicht online stellen sollen.

Sie haben noch bis 2021 einen Vertrag in Montpellier. Wollen Sie danach hier bleiben, oder wohin soll die Reise noch gehen?

Ich beschäftige mich noch nicht wirklich damit, was ich in Zukunft machen will. Das ist alles noch so weit weg. Jetzt möchte ich mich auf diese Saison konzentrieren und mich mit dem Nationalteam für die EM qualifizieren. Ich kann mir vorstellen, in Montpellier zu bleiben, ich kann mir aber ebenso gut vorstellen, etwas Neues zu probieren. In eineinhalb Jahre kann sehr, sehr viel passieren – vor allem im Fußball.

Zur Person

Sarah Puntigam (27) begann ihre Karriere beim USV Gnas in der Steiermark. Nach Stationen beim LUV Graz, dem FC Bayern, dem SC Kriens und dem SC Freiburg wechselte sie 2018 zum HSC Montpellier. Im österreichischen Nationalteam kam die Mittelfeldspielerin bisher auf 101 Einsätze, 2017 erreichte sie das EM-Halbfinale.

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