Kosmetik und Konfusion

Beim Weltgipfel der UN wird eine demokratische Informationsgesellschaft verhandelt. Ein Kommentar.

Vom 10. bis 12. Dezember steht mit dem UN-Weltgipfel WSIS die Informationsgesellschaft zur Debatte. In Österreichs Politik und Medien herrscht angesichts der Tragweite der Entwicklung, die in dieser Großkonferenz einen wichtigen Anlassfall gefunden hat, Besorgnis erregende Stille. Die so genannte Informationsgesellschaft bezeichnet seit den neunziger Jahren die Expansion digitaler Netzwerke, die Durchdringung der Arbeit durch Informationsprozesse sowie den Wandel von materiellen zu immateriellen Gütern. Damit stellt sich heute mehr denn je die Frage, wer über die Macht verfügt, die Grundzüge dieser neuen Gesellschaftsordnung zu definieren. Neue Konflikte in der Verteilung von Wohlstand beziehen sich inzwischen mehr auf die ungreifbare Welt des “geistigen Eigentums” (Intellectual Property) und der Vertriebsrechte als auf die traditionelle Wertschöpfung.

Inzwischen ist vielfach von “IP-Regimen” die Rede, welche die Beziehungen zwischen den reichen post-industriellen Staaten und der in eine Schuldenspirale gedrängten früheren “Dritten Welt” dominieren. Unter dem Stichwort “Digital Divide” werden jene Chancenungleichheiten zusammen gefasst, die für eine global informatisierte Wirtschaft charakteristisch sind. Insbesondere Copyright-Monopole fördern die Kapitalkonzentration, treiben die Marktzugangskosten in die Höhe und schließen neue und unabhängige Akteure aus – insbesondere aus dem Non-Profit Sektor. Derartige wirtschaftliche Strategien sind bestrebt, ein Ungleichgewicht auch in den Zukunftsmärkten frühzeitig zu sichern und nicht zuletzt die technische und legistische Entwicklung langfristig in eine Richtung zu lenken, die genau diesen Interessen entgegen kommt.

Schon bei der Vorbereitungsveranstaltung der Vereinten Nationen in Wien wurde Ende Oktober deutlich, dass sich beim WSIS Rhetorik und Wirklichkeit weit voneinander entfernen. Solange nicht berücksichtigt wird, dass eine faire IP-Regelung ein integraler Bestandteil einer gerechten Informationsgesellschaft sein muss, werden derartige Veranstaltungen, wie Alan Toner, ein WSIS-kritischer Kulturwissenschaftler der New York University, anmerkt, “kaum mehr als Kosmetik und eine ungeheure Zeitverschwendung sein”.

Die milde und gönnerhafte Euphorie im Kommentar von Peter Bruck und Stefan Weber über die angeblich vorbildliche Rolle der österreichischen Bundesregierung bei der Überwindung der “digitalen Kluft” (Falter 49/03) entspricht genau jener kalkulierten Realitätsverweigerung, die für die schwarz-blaue Politik bezeichnend ist. Der in Österreich beschrittene Weg zeigt sich am anschaulichsten in der hilflosen Verwirrung des Staatssekretärs für Kunst und Medien. Zum einen weist Franz Morak die “Gefahr einer Zweiklassengesellschaft” als “nicht der Rede wert” von sich und sagt, sie erinnere ihn “bestenfalls an die Unterteilung der Menschen in Zeitungsleser und Nichtzeitungsleser”. Zum anderen – anlässlich des offiziellen WSIS-Beitrags der Bundesregierung – sieht Morak in der ungleichen Verteilung der Zugangsmöglichkeiten “Risiken für die politische Stabilität” des ganzen Landes.

Tatsächlich tut sich in der Mitte dieser zwei Morak’schen Meinungspole ein Abgrund politischer Versäumnisse auf. Die Einschränkung der freien Werksnutzung in digitalen Medien folgt dem US-amerikanischen Digital Millenium Copyright Act und ist mit der Novellierung des österreichischen Urheberrechts ein Schlag ins Gesicht all jener, die hierzulande für eine offene und demokratische Informationsgesellschaft eintreten. Der darin verankerte so genannte “Schutz technischer Kopierschutzmaßnahmen” hat katastrophale Konsequenzen für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung – zu Gunsten der Etablierung von marktbeherrschenden Konzernkartellen. Obwohl in Österreich rigoros politische Maßnahmen durchgesetzt werden, existiert keine Politik, die sich die Sicherstellung von Grundlagen und strukturellen Rahmenbedingungen einer demokratischen Informationsgesellschaft zur Aufgabe macht.

“Entgegen dem weit verbreiteten Argument, dass der Ausbau des Urheberrechts den kulturellen Produzenten und Produzentinnen zu Gute kommt,” erklärt Lawrence Lessig, Rechtsexperte an der Stanford University, “schadet es der Mehrheit von ihnen”. Die öffentlichen Ressourcen der kulturellen Gestaltung müssen im Sinne der Nachhaltigkeit einer digitalen Umwelt geschützt und frei zugänglich gehalten werden. Virtualisierter Landraub hingegen, der alle geistigen Leistungen und Methoden patentieren will, verursacht in den Kulturen der Informationsgesellschaft ein ökologisches Desaster.

Informationsfreiheit in elektronischen Netzwerken wird zunehmend als Sicherheitsrisiko angesehen. Der Ausbau der technologischen Strukturen der Informationsgesellschaft ist nicht erst seit dem 11. September 2001 begleitet von einer Sicherheitsparanoia, die Offenheit immer mehr mit Gefahr gleichsetzt. Tatsächlich ist Gefahr in Verzug. Zunehmend werden Informationslandschaften geschaffen, in denen dieser Fluss von einer Architektur der Kontrolle reguliert und Systemen der Eingrenzung unterworfen ist. Obwohl deren Sicherheit trügerisch erscheint, werden immer neue Grenzen errichtet. Dieser sich auch in Österreich immer stärker abzeichnende Trend zur Kontrollgesellschaft steht im Widerspruch zu einem offenen Austausch in einer vernetzten Wissensgesellschaft. Statt Barrieren und Monopolstrukturen zu errichten, sollte die Fragestellung sein, wie der freie Fluss von Informationen gefördert werden kann. Dessen Beeinträchtigung bedeutet nämlich nicht nur eine dramatische Verarmung, sondern raubt auch die Grundlagen einer Mitgestaltung der Zukunft.