Der Afrika-Cup 2010 begann mit einem Blutbad, in dessen Folge die “Falken” aus Togo zwei Tote und zahlreiche Verletzte zu beklagen hatten. Der Kugelhagel von Cabinda traf aber auch den Nerv der afrikanischen Fußballverbände und ihr Naheverhältnis zu den Machteliten.
Es waren wohl die längsten 15 Minuten ihres Lebens. Der Albtraum nahm seinen Anfang, als Togos Nationalmannschaft, gemeinhin auch als “Éperviers” (Falken) bekannt, am 8. Jänner 2010 die angolanische Exklave Cabinda erreichte, um hier gemeinsam mit der Elfenbeinküste, Ghana und Burkina Faso eine von vier Gruppenphasen der Afrikameisterschaft 2010 (CAN) auszutragen. Doch dazu sollte es nicht kommen. Noch ist unklar, wie groß die Gefahr tatsächlich eingeschätzt werden musste, zur Anreise den Bus zu wählen. Jedenfalls gerieten der Kader, Verbandsmitglieder und das technische Personal in einen Hinterhalt des “Front de libération de l’enclave de Cabinda” (Front zur Befreiung der Enklave Kabinda), kurz FLEC. “Wir kamen von unserem Vorbereitungscamp im Kongo und wurden plötzlich wie Hunde mit Maschinengewehren beschossen”, erinnert sich Thomas Dossevi, Stürmer beim französischen Erstligisten FC Nantes. “Sie waren maskiert und bis zu den Zähnen bewaffnet.” Und auch Alaixys Romao, Legionär in Grenoble, stand noch Tage später unter Schock. “Es gab Sicherheitsmaßnahmen, aber die konnten das Unglück nicht verhindern. Wir verkrochen uns alle unter den Sitzen.” Erst nachdem die angolanischen Einsatzkräfte dem Spuk der Separatisten ein Ende bereitet hatten, offenbarte sich das ganze Ausmaß der Tragödie.
Sicherheitslücke Afrika?
Stanislas Ocloo, Pressesprecher der Fédération Togolaise de Football (FTF), sowie Tormanntrainer Abalo Amélété wurden beim Überfall getötet. Sieben Spieler und auch der Chauffeur mussten mit schweren Schussverletzungen ins Spital gebracht werden. Damit nahm dann auch die öffentliche Auseinandersetzung ihren Lauf, warum und wie es zu diesem Vorfall kommen konnte. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Angola und Togo sind jedenfalls seither angespannt, und auch der Afrikanische Fußballverband CAF hat bislang sehr wenig zur Beruhigung der Lage beigetragen. Im Gegenteil. “Die Spieler von Togo wurden unter enormen Druck gesetzt”, berichtet Dimas Dzikodo, Journalist der in Lomé ansässigen Zeitung “Forum de la semaine”. Er war schon kurz nach dem Attentat bei den verstörten Spielern und konnte so in Erfahrung bringen, dass offizielle Emissäre Angolas, des Kontinentalverbands, aber auch aus Südafrika aufgrund ihrer Sorge um negative Auswirkungen auf die WM 2010 der Mannschaft Geld anboten, um sie rechtzeitig vor dem Kofferpacken zu einem Einlenken zu bewegen. Während die Fußballer rund um Kapitän Emmanuel Adebayor auf ausdrückliche Weisung ihrer Regierung den Heimweg anzutreten hatten, zog die öffentliche Debatte, ob die lokale Sicherheitslücke in der angolanischen Randzone auf das gesamte Afrika zu projizieren sei, mit großem Tempo ihre internationalen Kreise.
Die Diskussion wurde auch in Österreich geführt. “Nach dem tödlichen Anschlag auf das Fußballteam von Togo”, schrieb etwa Gerhard Hofer in einem Presse-Kommentar, “fühlen sich wieder jene postkolonialen Besserwisser bestätigt, die schon immer der Meinung waren, dass Afrika für eine Fußball-WM nicht zivilisiert genug sei”. Aus gutem Grunde zog Hofer auch Parallelen in die jüngere Geschichte Mitteleuropas: “Kein Mensch stieß sich daran, dass zwei Jahre nach dem Olympiaterror in München 1972 in Deutschland die Fußballweltmeisterschaft stattfand.” Mit dieser Kritik wird deutlich, dass vor allem in der medialen Berichterstattung immer wieder ein Bild von Afrika gezeichnet wird, das keinerlei Differenzierungen vermittelt, sondern eine falsche Vereinheitlichung des gesamten Kontinents vorantreibt, der angeblich nur durch Barbarei, Elend und Korruption in Erscheinung tritt.
Politische Verstrickungen
Dabei sollten insbesondere die Vorkommnisse zu Beginn des CAN 2010 einen Anlass bieten, politische Machtverhältnisse und die Verstrickung der Sportverbände differenziert zu betrachten. Nur so kann es gelingen, das Attentat vor dem Hintergrund der sehr speziellen Situation Togos näher zu beleuchten. Verallgemeinerungen verstellen lediglich den Blick dafür, dass sich in unzähligen Weblogs, Mailinglisten und oppositionellen Zeitungen sogleich kritische Stimmen zu Wort gemeldet haben, die eine fatale Parallele zu einem noch weiter zurückliegenden Unglück sehen wollen. Im Juni 2007 war ein Helikopter nach einem CAN-Qualifikationserfolg Togos gegen Sierra Leone abgestürzt. Gemeinsam mit Funktionären der FTF, dem Direktor von “Musifoot”, einer Promotionagentur des togolesischen Fußballs, sowie einigen Sekretären konnte damals auch Sportminister Atipe Kwako nur noch tot aus den Trümmern geborgen werden. Viele mutmaßen, dass der Familienclan um Faure Essozimna Gnassingbé, noch besser bekannt als Faure Eyadéma, die ganz bewusst im Dunkeln gehaltene Malaise verschuldet hat. Der amtierende Präsident musste 2005 wegen massiver Vorwürfe des Machtmissbrauchs zurücktreten, gelangte dann aber erneut an die Spitze des Staates. Schon sein Vater und Amtsvorgänger war dadurch aufgefallen, mit Gewalt gegen die Opposition, Veruntreuung, Waffenlieferungen und Kriegsgeschäften in der Region die Einflusssphäre zu erweitern. Nun, so die um viele Ecken überlieferte Erzählung, gerate eben auch der angesehene Fußball in den historischen Sog der im eigenen Hause verursachten Machenschaften. Es sei für die skrupellosen Eliten allemal absehbar gewesen, dass dafür eines Tages eine blutige Rechnung serviert werden würde, zeigt sich Mabizo Kiri vom unabhängigen Nachrichtenportal Lynxtogo.info überzeugt. Da nütze es nichts, dass selbst Angolas Behörden der Welt glauben machen wollten, hinter der FLEC verberge sich bestenfalls eine Handvoll Wegelagerer, die kriminellen, keinesfalls aber politischen Motiven folgten.
Am 15. Jänner 2010 machte das offizielle Togo den Getöteten in einem nationalen Festakt seine Aufwartung. Regierungsmitglieder, Abgeordnete, Sportverbände und sogar Repräsentanten aus Angola waren gekommen, um mit den Angehörigen der Zeremonie beizuwohnen, bei der die Opfer posthum mit dem hohen Ehrentitel “Ritter des Ordens von Mono” ausgezeichnet wurden. Einzig die CAF entsandte keine Trauergäste und verweigerte auch Stellungnahmen, was wiederum wenig zur Beschwichtigung der erhitzten Gemüter und Mythenbildung beigetragen hat.
Ausgerechnet Rock Gnassingbé, Togos mächtiger Organisationsverantwortlicher für die Teilnahme am CAN und nicht zufällig Bruder des Präsidenten, kündigte noch am selben Tag die Einsetzung eines Weisenrates an. Dieser solle den “Märtyrern von Cabinda”, wie die getöteten Falken fortan geheißen werden, eine ewige Ruhestätte errichten, mit der dann auch die Zweifel an den geheimnisumwobenen Ereignissen ein für allemal begraben sind. Doch das wird nur schwer gelingen. “Niemals zwei ohne drei”, besagt eine alte togolesische Weisheit, die nun auch die Prognosen in der öffentlichen Meinung prägt. Als Mahnmal bleibt bestenfalls die große Sorge unter den Menschen, dass weitere Gewaltakte gegen Togos Fußball nicht auszuschließen sind.