Man stelle sich vor, es gäbe ihn nicht. Die Unterhaltungsindustrie müsste Eric Cantona erfinden. Denn mit der Inszenierung des aufrührerischen Raubeins lässt sich in der Arena der Vermarktung eine Menge Geld verdienen. Davon profitieren neben dem alternden Hauptdarsteller vor allem globale Unternehmen und die Medienwelt.
In Frankreich ist die persönliche Befindlichkeit ein Thema, das breiten öffentlichen Raum einnimmt. Druckwerke, die im Falle von frühkindlichen Depressionen, Mobbing am Arbeitsplatz sowie bei Langeweile im ehelichen Liebesleben mit jederzeit gebrauchsfertigen Ratschlägen zur Seite stehen, sind an den Kiosken stark nachgefragte Massenware. Die triviale Fachpublizistik dient aber nicht nur als mittlerweile unverzichtbare Anlaufstelle, die mit Lebenshilfe und neuzeitlichen Dramen über eine große Anziehungskraft verfügt. So mancher Star nutzt Hochglanzmagazine auch zum schillernden Nachweis der psycho-emotionalen Einzigartigkeit.
Wenige Wochen nach Erstaufführung von “Looking for Eric” im Rahmen der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes trat Eric Cantona auf eine Bühne, von deren Reichweite das cineastische Festival nur träumen kann. “Ich will nicht alles analysieren”, betitelte die Juni-Ausgabe der populären Zeitschrift psychologies ein mehrseitiges Interview, das als dialogisches Porträt nicht nur aufgrund der Inhalte, sondern auch aus formaler Perspektive beachtenswert ist.
Moderne Imagebildung
“Wie ein Kind”, so ist bereits in der redaktionellen Einleitung zu lesen, “verspürt Cantona das große Vergnügen, sich im Film nun endlich selbst zu spielen.” Als unerwartete Erscheinung in der Tristesse “eines depressiven Fans, dem er zu Hilfe eilen kann.” Die heilbringende Entsendung aus heiterem Himmel wird hier geradezu paradigmatisch und mündet letztlich in eine Verschmelzung mit dem Medium. Beide verbindet die Neigung zur Überwindung der Fallstricke des Lebens, für das, so die gemeinsame Deutung, “der Fußball eine Metapher” geworden ist.
Über all dem ragt ein Eric Cantona, dem es nicht an Selbstbewusstsein mangelt, alle Register der modernen Imagebildung zu bemühen. Unrasiert, mit nacktem Oberkörper, greift er auf den Fotos zum Interview – einem Gruße gleich – mit der linken Hand zum Hut. Der Zeigefinger der rechten Hand erhebt sich entlang der Nase in die Höhe, vermutlich in Anlehnung an James Bond, der vielleicht einprägsamsten Ikone idealisierter Männlichkeit. Von diesem Antlitz beglückt, soll sich das vorwiegend weibliche psychologies-Publikum über die Entblößungen eines lustvoll angerichteten “Mister Beau” hermachen. “Ja. Ich bin, wie ich bin”, so die knappe Antwort auf die Frage, warum sich “das Bild des rotzigen Jungen” wie ein roter Faden durch die mediale Beobachtung seiner gesamten Laufbahn zieht. Dabei darf auch das Feingefühl nicht verborgen bleiben, etwa durch das Festhalten an Werten wie Familie und Traditionen. Da wird dann der auf der behaarten Brust verewigte Indianerhäuptling nicht mehr nur zur Schau gestellt. “Schon mein Großvater väterlicherseits hatte diese Tätowierung. Meine Brüder und ich beschlossen daraufhin, es ihm gleich zu tun. Dem ist dann auch mein Sohn gefolgt. Wir werden das Zeichen von Generation zu Generation weiter geben.”
Die mediale Wahrnehmung des Sports, das lässt sich inzwischen anhand zahlreicher Beispiele belegen, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert. Auch im Fußball besteht spätestens seit David Beckham kein Zweifel mehr daran, dass das Prinzip der unabhängigen und sachlichen Berichterstattung zunehmend kommerziellen Interessen weichen muss. Das Medienkarussell dreht sich da schon eher um die Ertragsabsichten aus Wirtschaft, Politik und Entertainment-Industrie. Dabei haben die Ereignisse rund um Superstar Beckham sowie dessen Ehefrau und “Spice Girl” Victoria die heikle Gratwanderung der massenmedialen Inszenierung in ihrer unerbittlichen Tragweite aufgezeigt. Der öffentlich ausgetragene “Becksgate”-Rosenkrieg erinnert als historische Chiffre an die Anfänge eines sich schon viel früher abzeichnenden Trends im Fußballjournalismus, dass sich durch das Zuliefern schmutziger und schmieriger Details zur ehelichen Untreue und die Abseitsfalle von Geliebten reichlich Geld verdienen lässt.
Profitable Lifestyle-Produktion
Die Wahrheit sah in diesem üblen Spiel die Rote Karte. Folgerichtig bezeichnete das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel die neuen Spielregeln der “publizistischen Seifenopern” als “shock and amaze”. Wenn Quoten und Auflagezahlen immer mehr die Oberhand gewinnen, steigt – angesichts der Konkurrenz um Aufmerksamkeit – auch der Druck auf das Individuum, sich den ökonomischen Zwängen von TV-Stationen, Werbewirtschaft und der Boulevardpresse zu unterwerfen.
Eric Cantona, der nicht nur mit seinem Markenzeichen, dem hochgestellten Kragen, stets ein treffsicheres Gefühl für öffentlichkeitswirksame Distinktion bewies, konnte sich diesem Geflecht ebenfalls nie entziehen. Einen anschaulichen Eindruck, wie das Raubein aus Marseille in der profitablen Lifestyle-Produktion der globalen Unternehmen Platz genommen hat, vermittelte Samo Kobenter in einem seiner Essays zu Fußball, Literatur und Politik im Rückblick auf die WM 2002: “Heute verkaufen clevere Konzerne wie Nike ihre Schuhe mit Werbespots, die das Spiel im Käfig beispielsweise im Laderaum eines verrotteten Öltankers nachstellen, von dessen Rampe eine Mischung aus Impressario und Zuhälter, gegeben von Eric Cantona, den besten Kickern der Welt die Kugel vor die Füße wirft und sich an ihren akrobatischen Kunststücken ergötzt.”
“Ich bin kein Mensch, ich bin Cantona” – auch die PR-Parolen zum neuen Film von Ken Loach zeugen nicht von moderater Selbstwahrnehmung. Im Gegenteil. Zwölf Jahre nach seinem Rücktritt aus dem aktiven Geschehen blickt das ManU-Denkmal, das nun auf der Leinwand den Schutzengel für Seelennöte mimt, am liebsten selbst zu jenem Mythos empor, den er sich über Jahre konsequent geschaffen hat. Dieser Mythos, darin ist sich die Fachwelt einig, könnte ihm ein Überdauern von Ewigkeiten sichern. Und zwar sowohl in den Herzen der Fans als auch in der Werbung, weil beide Pole sich wechselseitig nähren und verstärken. Anders als etwa Zinedine Zidane hat Cantona nie aus reinem Pflichtbewusstsein auf die Erfüllung von Verträgen Wert gelegt. Bei ihm stand durchwegs die Promotion der eigenen Persönlichkeit im Vordergrund. Im Gedächtnis des englischen Fußballs hat er sich jedenfalls für immer eingeschrieben, weil er mit multiplen Fähigkeiten zu überzeugen wusste. Als Komiker, als Mann mit theatralischem Instinkt, der unter Eigenregie die Selbstinszenierung auf das Spielfeld und dessen Umkreis erstreckte. Damit zog Cantona vor allem die Medien in seinen Bann – und stieß sie nicht selten auch vor den Kopf.
Diese aufrührerische Unberechenbarkeit kennzeichnete nicht zuletzt den denkwürdigen Augenblick jener Pressekonferenz 1995, von der sich alle eine entschuldigende Stellungnahme zum Kung-Fu-Tritt gegen Matthew Simmons erhoffen durften. Doch daraus wurde nichts. “Die Möwen folgen dem Fischkutter”, so das knappe Statement, “weil sie glauben, dass die Sardinen ins Meer geworfen werden. Herzlichen Dank!” Der Unwillige bürstete kräftig gegen den Strich der Medien, vor allem aber gegen deren Besessenheit, diese Verfehlung im Spiel gegen Crystal Palace unaufhörlich ausschlachten zu müssen. Und mehr noch: Cantona, der 1996 von Großbritanniens Sportjournalismus zum Spieler des Jahres gewählt werden sollte, hatte wieder einmal den Nachweis erbracht, dass sich unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale, etwa jenes des arroganten Einzelkämpfers, aber auch die literarische Schlagfertigkeit, bei ihm zu einem Gipfelsturm vereinen können.
Gott in der Mitte des Spielfelds
Das wissen auch die internationalen Konzerne mehr als nur zu schätzen. Ob in den surrealen Techno-Clips von Nike oder beim fast besinnlich in Szene gesetzten Zwiegespräch mit dem neuen Mittelklassewagen von Renault, der ehemalige Fußballer verwirklicht alle Aspekte, die im Pflichtenheft zur erfolgreichen Markenbildung eingetragen sind: Männlichkeit, Selbstsicherheit, Arroganz und die richtige Portion Selbstironie. “Er tritt”, vermerkt ein kritischer Kommentar in den nicht enden wollenden Diskussionen um die Bedeutung Cantonas, “als Gott in die Mitte des Spielfelds, so als wäre er durch seine Spitzenleistung unerschütterlich. Dann aber kehrt er um, bläst sich zur vollen Größe auf und unterstreicht dadurch seinen wahren Triumph.” Beherrschung der Images, Dauerhaftigkeit des Produkts – diese Formel war bisher jedenfalls Goldes wert. Fraglich bleibt, ob sie sich auch auf andere Biografien übertragen lässt. Cristiano Ronaldo, Cantonas Erbe im Trikot mit der Nummer 7, wurde von Manchester United um unglaubliche 94 Millionen Euro an Real Madrid verkauft. Es ist schon jetzt für ihn nur schwer möglich, im Verwertungshochofen aus Boulevard und Merchandising die persönliche Autonomie zu wahren.
Wie aber wird es mit Eric Cantona weiter gehen? Träumt er, will psychologies zum Abschluss des Interviews genauer wissen, nicht oft davon, “ein bisschen mehr Zen” zu sein, also über den Dingen zu stehen? “Das ist mein ultimatives Ziel”, so die lapidare Antwort. “Ich bin davon überzeugt, dass es im Zustand des Zens sehr viel zirkulierende Energien gibt. Noch habe ich keine Zeit dafür gefunden, weil ich im Augenblick vom System aufgefressen bin. Aber ich werde siegen!”
Damit ist auch schon die nächste Runde eingeläutet. Dass die innere Balance noch nicht den ersehnten Vorrang hat, dafür sorgte zur Premierenfeier in Cannes die öffentliche Inszenierung der Schwangerschaft seiner Frau, der Schauspielerin Rachida Brakni. Schon jetzt ist absehbar, dass die Geburt des Kindes den dramaturgischen Anweisungen des alternden Stars auf den vielen Bühnen folgen wird. Denn wohin sein persönlicher Weg auch führt, ob zum Sieg oder zur Niederlage, die Marke Eric Cantona wird sich im System auch in Zukunft gewinnbringend zu vermarkten wissen.